Eine Königin lacht nicht

■ Der niederländische Autor hat die große Velazquez-Ausstellung im Madrider Prado besucht und sich seine Gedanken dazu gemacht, die wir glücklich sind, unseren Lesern mitteilen zu können

Cees Nooteboom

Als ich nach ein paar Stunden aus dem Prado trete, sind die beängstigenden Scharen nicht da, die sich an anderen Tagen wie eine menschliche Schlange um das strenge Gebäude winden. Es war Montag, ich hatte die Ausstellung fast allein sehen dürfen in der unwirklichen Stille eines leeren Museums. Das läßt einen nicht unberührt. Große Kunst gibt Rätsel auf, und man muß sehen, wie man damit zurechtkommt. Es war Frühling, Madrid ohne die verheerende Hitze der späteren Monate, licht, luftig, eine Stadt auf einer Hochebene.

Ich hatte Gemälde gesehen, die ich schon jahrelang kannte, und andere, die ich noch nie gesehen hatte, neunundsiebzig insgesamt, Stilleben, Genredarstellungen und Porträts, die ein Königsleben begleitet hatten, mythologische und religiöse Szenen, Reiter, Zwerge, Trinker, Narren, und immer wieder Augen und Mund des Habsburgerkönigs Philipp IV. Vor allem aber hatte ich natürlich Velazquez gesehen und fragte mich, wer dieser Höfling war, der so weit in das Netz der Macht eingedrungen war, daß er die Personen, die die Hauptrollen darin spielten, aus nächster Umgebung malen konnte.

Er hatte sich selbst zu einem Rätsel gemacht, so wie auch Rembrandt und Vermeer Rätsel sind, einmal mit diesem hintergründigsten aller Gemälde, Les Meninas, aber auch mit der sich über beider Erwachsenenleben erstreckenden Serie von Königsporträts. Mehr als dreißig Jahre liegen zwischen dem ersten und letzten, das geteilte Leben Velazquez lebte am Hof, der König kam oft in sein Atelier und nahm den Maler auch mit auf Reisen - muß ein Element des Selbstporträts in diese Königsbildnisse gebracht haben, das vielleicht nur für sie beide erkannbar war.

Der Höfling, der in immer byzantinischere Höhen an einem Hof erhoben wurde, an dem der König nicht in Gesellschaft seiner eigenen Frau speisen konnte und auch bei der Taufe seiner eigenen Kinder nicht zugegen sein durfte, der König, der heimlich Briefe an eine aragonesische Nonne über seine unbezähmbare Lust, seine Seitensprünge, seine Ausschweifungen und Gottes Strafe dafür, die Niederlage bei Rocroi und den Aufstand in Portugal, schreibt, der Niedergang der Habsburger und der unaufhaltsame Aufstieg des Hidalgo-Malers, das alles ist in diesem letzten Porträt, eigentlich sind es zwei, zu lesen. Irgendwann zwischen 1655 und 1660 müssen die beiden Bilder entstanden sein. Der Maler wird 1660 sterben, der um fünf Jahre jüngere König wird ihn nur um wenige Jahre überleben. Uralte Fischaugen

Zwei Gemälde, ein König, ein in die Jahre gekommener desillusionierter Mann, einer, der die ererbte Masse seines Reiches auseinanderdriften sah und sie nicht mehr in den Griff bekommen konnte, ein schwacher Mann, in Habsburger Zweifeln befangen, der seine Schwäche kannte und das Regieren falschen Ratgebern wie dem conde-duque Olivares überließ. Wenn man sich diesen nördlichen Kopf anschaut, kann man sich nicht vorstellen, daß der Mund je Spanisch gesprochen hat, aber das ist akademisch, denn in Gemälden wird nicht gesprochen, und dieser König, der der Legende nach in seinem Leben nur dreimal gelächelt hat, ist auf seinen Porträts in Stille erstarrt.

Er brauchte auch nichts zu sagen, er hatte Augen und er hatte einen Maler. Die strenge Moral hatte den üppigen Spitzenkragen abgeschafft, an seine Stelle war die golilla getreten, ein gestärkter weißer Kragen, der fast die Form eines Tellers hat und, wenn man nur lange genug hinschaut, den Kopf vom Körper zu trennen scheint, so daß das königliche Haupt wie auf einer Schale liegt. Da spielt es auch keine Rolle mehr, daß der König auf dem Londoner Bildnis (National Gallery) die Insignien des Goldenen Vlieses trägt oder daß der Stoff des Wamses beim Prado -Porträt schlichter ist - es ist das Gesicht, das alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, und es ist nicht das Gesicht aus den verzweifelten Briefen, sondern das eines Königs, so, wie es für die anderen auszusehen hat.

Fischaugen hat man diese Augen genannt, dann aber Augen einer undenkbar uralten Art, die wohl in großer Tiefe schwimmt und noch nie von einem Menschen gesehen wurde. Es wehrt ab, dieses Gesicht, es verbirgt sich, gibt sich aber, und das ist das Geheimnisvolle daran, gleichzeitig dem Maler preis, und so spaltet es sich, gibt sich bloß in seiner Abwehr, schafft eine unüberbrückbare Distanz und ist doch ganz nah, so weit weg wie ein König und so nah wie ein Freund, der sich von einem Freund malen läßt. Was der Freund gesehen haben muß, war das Ende einer Linie. In Spanien sollte nur noch ein Habsburger folgen, Karl der Behexte. Von seinen acht Urgroßeltern waren sieben Nachfahren von Johanna der Wahnsinnigen, der Mutter Karls V.

Diese Habsburger vererbten einander nicht nur diese wahnwitzigen Kiefer (Karl V. konnte seinen Mund gar nicht richtig schließen), sondern auch sonst noch allerlei Mißliches aus dem inzestuösen Suppentopf, so daß der letzte von ihnen körperlich verfiel, gleichzeitig mit seinem Reich. Unentschlossenheit, verhängnisvolle Verblendung, Verschwendungssucht, Mißwirtschaft, religiöse Verblendung, krampfhafter Imperialismus - in sechs aufeinanderfolgenden Generationen durften alle Leiden und Laster mehr oder weniger stark mitköcheln, nebst Gicht, Epilepsie, Sprachstörungen, überdrehten sexuellen Triebe, extremer Nervosität, religiöser Melancholie. 1647 heiratet Philipp IV. seine Nichte Maria Anna von Österreich. Die Braut ist dreizehn. Von sechsundfünfzig ihrer Vorfahren sind achtundvierzig auch Vorfahren ihres Onkels, der ihr Mann wird, und dessen Sohn sie hätte heiraten sollen, wäre der nicht vorzeitig verstorben.

Um den französischen Bourbonen Schach zu bieten, mußte ein spanischer Habsburger her, der Menstruationszyklus der Kindkönigin wurde zu einem Faktor im europäischen Kräfteverhältnis, und an dem Hof, an dem Gerüchte mit ihrer politischen Ladung ein Eigenleben führen, malte der Maler Marionetten und ihre Drahtzieher. Als er die Königin 1653 auf der Leinwand festhält, ist sie neunzehn und nicht glücklich. Es gibt keine Konvention, die besagt, daß Königsporträts lachen müssen, aber wenn es so etwas wie das Gegenteil eines Lachens gibt, dann steckt es in der Haut rund um den kleinen roten, mit einem mutwilligen weißen Strich zum Glänzen gebrachten Mund.

Der Maler ist ein Meister dieser Technik, er zwingt einen immer wieder zu vergessen, daß es ein Trick ist, eine minimale Bewegung und eine minimale Farbmenge. Bei Philipps Porträt, dem späten, sind es einsam leuchtende Tupfer, die anzeigen, wo die blonde, hochstehende Tolle sich wellt: Da kippt das Haar nach hinten, man weiß genau, wie dünn es war, wie es sich anfühlte. Im Grunde hat man das Haar dann schon angefaßt, auch wenn der Mann bereits seit Jahrhunderten tot ist, genauso wie man um den Mund seiner Frau spüren konnte, wie die Haut sich mißbilligend spannt, geschürt von der angehaltenen Luft darunter, der permanenten kalten Wut.

Die Illusion wird nicht von dem Hyperrealismus des Feinmalers erzeugt, durch Ab-Bildung, sondern durch Einbildung, Illusion, nonchalante Täuschung, die die Realität verstärkt, sprezzatura, die Geste des Höflings, der perfekte Winkel seiner Verbeugung, der winzige und nicht wiederholbare Augenblick des Malers, durch den ein kalter Mund für alle Zeiten glänzt. Ist diese Wut meine Interpretation? Ich glaube nicht, ich kann sie sehen, weil der Maler sie sah. Fürstenkinder waren Pfänder, an ihren sterblichen Körpern hingen Gebietserweiterungen, Bündnisse, Landstriche, die noch kaum ausgereiften Körper mußten Thronfolger produzieren, Dynastien festigen, Zuchtvieh im Dienste der Staatsraison. All das liegt in diesem Mund.

Die Nachricht, daß man nicht seinen jungen Vetter heiraten wird, der gestorben ist, sondern dessen Vater, der noch lebt und zwar der eigene Onkel ist, jedoch eine fremde Sprache spricht. An seinem Hof, der dann der eigene ist, gehören Irre, Narren und Zwerge zur täglichen Entourage, doch man darf nicht über sie lachen, denn eine Königin lacht nicht. Und dann muß man noch diesen großen Königsleib auf sich dulden, denn ein Erbfolger muß verkündet werden, sonst verschieben sich die Kontinente. Die Idee der Kleidfrau

So wie die japanischen Kaiser die Nacht vor ihrer Inthronisation an einem einsamen Ort verbringen müssen und sich mit der Sonnengöttin vereinigen, so fand die erste Begegnung der spanischen Habsburger mit ihren Gemahlinnen in irgendeinem bescheidenen Weiler statt, ohne den geringsten Komfort und ohne Speis und Trank. Bei Philipp und Maria Anna war es Navalcarnero, ein verlassenes Dorf mitten in der steinigen, einsamen Ebene. Sie durfte von seiner Gegenwart nichts wissen, so daß er sie heimlich beobachten konnte. Schließlich hatte auch er sie noch nie gesehen. Die Ehe wurde eine Katastrophe, doch an diesem Abend gefiel sie ihm. Wir werden nie wissen, wie sie aussah, wenn sie lachte, aber vielleicht tat sie es dieses eine Mal, denn eine kleine Komödie wurde gegeben. War der Maler zugegen? Wie üblich wissen wir das nicht.

Sein König hatte ihn seit 1623 immer wieder im Rang erhöht, vom pintor de camara, Hofmaler, zum ujier de camara, Kammerjunker, dann zumalguacil de casa y corte, Haushofmeister, und ayuda de guardaropa, ein Titel, der übersetzt so albern klingt, daß ich ihn lieber so stehenlasse. In den darauffolgenden Jahren sollte er noch viel höher steigen, aber all diese Bizarrerie war gesellschaftliche Wirklichkeit, es waren reale Ämter, die wahrscheinlich erklären, weshalb Velazquez kein größeres Oeuvre hinterlassen hat. Jedenfalls konnte er bei soviel physischer Nähe sein künftiges Modell gut studieren, und umgekehrt neigt auch sie nicht mehr dazu, ihr Innerstes vor diesem täglich Anwesenden zu verbergen, und so steht sie da, ein Körper in einer Konstruktion.

Mitunter hat man gewisse Bilder zu oft gesehen, dann teilt sich ihre Eigenart nicht mehr mit. Guardainfante heißt das Kleidungsstück, in dem die Königin abgebildet ist, nach den weit überstehenden Kissen oder Turnüren, die sich in Taillenhöhe befinden und zu den Seiten hin ausladen. Es scheint, als käme sie dahergesegelt, es fällt schwer, sich einen Körper darunter vorzustellen, den einer hochgewachsenen, langbeinigen, nördlichen Frau. Der Rock ist durch dieguardainfantes und durch das Reifengestell, das sie halten soll, so weit geworden, daß es zu einer gräßlichen Verzerrung und Leugnung des physischen Körpers darunter kommt, sie ist unten breiter als insgesamt hoch, und das macht sie zu einer Art Kleidfrau, einer Kleidmeerjungfrau, deren Unterleib aus einer Halbkugel aus schwarzem Samt besteht, überreichlich mit Silber besetzt, das sich hart anfühlen muß. Kein Zweifel, von unten ist diese Frau ein Ding, sie kann ihre kleine, glänzende, weißrosa, eigentlich nur angedeutete Hand mit dem übergroßen Taschentuch (die gleiche Hand, die später, als sie bereits Witwe ist und als Nonne gekleidet geht, von anderen Malern so nackt wie eine Hühnerklaue dargestellt werden wird) darauf legen, als gehörte diese samtene, sich nach vorn hin bauschende Fläche tatsächlich nicht zu ihr.

Etwas Ähnliches geschieht mir ihrem Kopf, ein halber, breiter Nimbus, der keine Tiefe zu haben scheint, ein unten gerade abgeschnittener Haarschirm umrahmt ihr Gesicht, wieder ein Ding, das sich um ihre Körperlichkeit schließt, sie einkapselt und zugleich betont. Das Resultat ist Majestät, und weil die nun dargestellt und festgehalten ist, darf jetzt auch die Psyche derjenigen, die diese Majestät tragen muß, zum Ausdruck kommen. Auf der gesamten bemalten Fläche hat die königliche Person/der Maler noch keine fünf Prozent sichtbaren Körper - Hände, Hals, Gesicht

-, um die Idee der Kleidfrau auszudrücken, und es ist dieser Teil, den sie gemeinsam malen, auch wenn es natürlich sein Geschick war, sie dazu zu bringen.

Von manchen Bildern kann man sich nur sehr schwer lösen, weil das Visavis so zwingend wird. Als der Maler fort ist, bin ich allein mit der Frau (nun, da sich in dem Raum, in dem ich stehe, kein anderer Besucher aufhält, bin ich allein mit diesem Bild). Durch das Augenblickhafte, das sich auf der Leinwand abspielt, wird die Illusion erzeugt, sie wäre tatsächlich da. Sie atmet, und sie könnte sich bewegen, trotz der völligen Ruhe, in der sie da steht. Das verleiht dem Augenblick eine erotische Konnotation, der ich mich nicht entziehen kann, selbst wenn sie tot ist und ich noch nicht geboren und damit unsichtbar bin. Nun, da die gesellschaftliche Unerreichbarkeit weggefallen ist, ist an ihre Stelle die physische getreten, die in die Domäne der Melancholie fällt.

Aber gerade, als ich mich dem sentimental hingeben will, geschieht etwas Seltsames. Ein Fernsehteam, das hier filmen will und dafür den ruhigen Montag nachmittag benutzt, taucht den Raum, in dem sie und ich uns befinden, in eine Flut weißen Lichts, das es zu ihrer Zeit noch nicht gab. Zauberei! Bevor ich weggeschickt werde (dieses Tete-a-tete kehrt nie mehr wieder), sehe ich für einen Moment das volle Ausmaß der Täuschung, die manchas distantes, ferne Flecken, von denen Quevedo sprach und die für so viele Kunsthistoriker die Vorboten des Impressionismus sind, so als hätte der Hofmarschall und Königsfreund im niedergehenden, dürren Spanien des 17.Jahrhunderts wie ein Rattenfänger die Manets und Cezannes in die Domäne der Farbe und Momentanität gelockt, was vielleicht zutrifft.

Beim plötzlichen Aufblitzen von Licht des 20.Jahrhunderts verliert sie nichts von der Pose, die ihre Position ausmacht. Das verschwenderische Rot beginnt heftiger zu glühen, das schon, doch gleichzeitig verstärkt sich das kalte Feuer in ihren Augen, nein, die Intensivierung ist allgemein, erstreckt sich auf ihr ganzes Wesen, das Rot ihrer Wangen, diese merkwürdig aufgesetzten runden Flecke, setzt sich fort in den roten Schleifen des Haarschirms, aber dann sehe ich auch, daß es nur Pinselstriche sind, daß das seidene Funkeln in diesem Rot aus Tupfern besteht, daß ich getäuscht wurde, obwohl ich es wußte, und doch wieder getäuscht werde, und daß diese Unmittelbarkeit, diese Bereitwilligkeit, die Hand von der Stuhllehne zu nehmen (auf die nur eine Person königlichen Rangs sie legen durfte, wie auch nur Hofdiener eines bestimmten hohen Ranges die Hände der Königskinder berühren durften), ausschließlich aus Farbe besteht.

Ausschließlich? Natürlich nicht. Es ist der Gedanke des Malers, der in Materie, Farbe ausgedrückt ist. Jeder weiß das, und dennoch. Unter dem Eindruck des Blitzlichts und meiner ungebührlichen Nähe zerfällt die Frau in tausend Stücke, erst als ich rückwärts gehe, fließt sie wieder zusammen zu der Vorstellung des Malers. Nun ist sie wieder ideell geworden, und die ganze Geschichte von Schein und Sein kann von vorn beginnen. Ein Jahrhundert später sollte Anton Raphael Mengs über Velazquez sagen: „Er malte die Wirklichkeit nicht, wie sie ist, sondern wie sie zu sein scheint.“ Er täuschte die Täuschung

Wahrheit, Wirklichkeit, Lüge, Schein, die Sache selbst oder ihr Name, es sind Irrlichter, die die verwirrenden Tangos zwischen diesen Begriffen in den Ballsaal der Postmoderne oder der Metafiktion verbannen wollen, um sie dann los zu sein, wie eine Hornisse, auf die man einschlägt, weil man Angst vor ihr hat oder weil sie einen belästigt. Aber diese Hornisse war immer schon da, seit Platons Kritik am absichtlichen Schein in der Bildhauerei bis zum scholastischen Eiertanz um Realismus und Nominalismus und weiter bis zu Berkeley und dem abgekarteten Spiel, das Borges mit alledem spielt. Diese Hornisse schwirrt aber auch unsichtbar über der Spiegelfechterei eines van Eyck (Die Hochzeit des Arnolfini) und Velazquez herum (Las Meninas), der damit wiederum Foucault verwirrt, aber das kommt erst später. In dem Bildnis Königin Maria Annas ist es zunächst nur die Täuschung der Methode oder die Methode der Täuschung, die mich beschäftigt, noch nicht die metaphysische List, mit der der Maler uns bei Las Meninas in einem Spiegel über den Abgrund hält.

Gombrich zufolge (Kunst und Illusion) soll Rembrandt gesagt haben: „Stecke deine Nase nicht zu tief in meine Bilder, sonst vergiftest du dich mit dem Geruch der Farbe.“ Was er meinte, ist, daß dies in seinem Fall (wie auch bei Velazquez) buchstäblich Licht auf den ganzen Schwindel werfen würde: aufhellende Bahnen, Striche, touches, die die Illusion von Licht und Bewegung und dadurch von Wirklichkeitstreue erzeugen sollen. Platon hielt nichts von solchen Methoden: So wurde nicht die Sache selbst geschaffen, sondern eine Fälschung. Deshalb war er auch gegen Bildhauer, die die Proportionen ihrer Plastiken so verformten, daß sie in einem Tempel oder aus großer Entfernung betrachtet natürlich aussehen sollten, echt.

Velazquez ging noch einen Schritt weiter. Er täuschte die Täuschung und arbeitete mit solch langen Pinseln, daß die Distanz bereits eingebaut war. Das ist der stroboskopische Effekt des sich drehenden Spinnrads in Las Hilanderas (es dreht sich wirklich), das sind auch die mohnfarbenen Flecken in dem Fächer rings um das Königinnenhaupt, die wilde Jagd weißer und roter Tupfer in dem Tierschwanz, der ihre manierierte Frisur zu einer Krone erhebt.

Wie machte er das? Schnell, sagen die Zeitgenossen. Aber wie reimt sich das mit seiner Trägheit, seinem Phlegma, von dem sie ebenfalls berichten? Als der Maler zu lang in Italien bleibt und der König ihn vermißt, schreibt dieser an den Herzog del Infantado, Velazquez solle zurückkommen, und zwar sofort, denn, so steht es in seiner eigenen Hand geschrieben, „ya conoceis su flema“, Ihr kennt sein Phlegma. Und dennoch malte er alla prima, machte keine Skizzen (es gibt kaum eine Zeichnung von ihm), und seine frühesten Bilder sind bereits verblüffend perfekt, als brauchte er nichts zu lernen. Schnelligkeit, Trägheit und die Einheit der Gegensätze, Ortega y Gasset wußte dieses Problem zu erklären: Es gibt Menschen, die angesichts existentieller Eile nur eine Haltung haben, die absoluter Ruhe, und so einer war Velazquez: „Er wußte auf exemplarische Weise, wie man nicht existieren durfte“ („yo veo en Velazquez uno de los hombres que mas ejemplarmente han sabido (...) no existir“).

Das formalistische Hofleben war genauestens reglementiert, der Maler war mit zahlreichen zeitraubenden Aufgaben betraut, die nichts mit seiner Kunst zu tun hatten, und nur einer, der die Zeit für sich selbst abgeschafft hatte, konnte über die Zeit verfügen, in der man Dinge schafft, die die Zeit ein für allemal überlisten oder leugnen.

1599 geboren, war er zwölf, als er in seiner Heimatstadt Sevilla zu Francisco Pacheco in die Lehre kam. Das Atelier war ein geistvoller, hochkultivierter Begegnungsort, wo er auch dem conde-duque Olivares vorgestellt wird, der ihn später an den Hof holen soll. 1618 beendet er seine Ausbildung, heiratet im Jahr darauf die Tochter seines Lehrers (sie wird eine Woche nach dem Maler sterben). 1623 malt er den König zum ersten Mal, von nun an wird der Hof seine künftige Welt. Für Spanien war es eine Zeit des Niedergangs, der Armut, erdrückender Steuerlasten, zum Scheitern verurteilter Kriege, für den Hof eine Zeit exzessiver Feste, Fraktionen, Intrigen. Was Velazquez von alledem hielt, wissen wir nicht.

Während eines Feldzugs in Aragonien malt er innerhalb weniger Tage zwei Porträts, das des Königs in Kriegsuniform und das dessen Zwergs, Don Diego de Acedo, El Primo. Der eine war in seinem Königsein gefangen, der andere in seinem zu kleinen Körper. Natürlich malt der Maler die äußere Rangordnung, aber etwas anderes leuchtet durch sie hindurch, das Wesen, die Seele, das, was einem bewußt macht, daß Velazquez jeden der beiden Männer in seinem eigenen Wert sah, weil er ihre Wahrheit kannte. Hinterglasmalerei

Und nun noch Las Meninas. Ich werde dieses Gemälde wohl nie mehr so allein sehen dürfen, aber das half nicht, es ist und bleibt eine Falle, und ich bin nicht der einzige, der da hineingefallen ist. Foucault ringt damit in Die Ordnung der Dinge, Luca Giordano sagte, „dies ist die Theologie der Malerei“, und Theophile Gautier rief: „Aber, wo ist das Bild?“ Die Frage ist verständlich, denn was ich sehe, ist ein Maler, der gerade ein Bild malt, das ich nicht sehen kann. Was ich sehen kann, ist das Bild, auf dem dieser Maler ein Bild malt, das ich nicht sehen kann, wobei er mich anschaut, den er nicht sehen kann. Ich will natürlich gern einräumen, daß er nicht mich anschaut (weil er mich nun einmal nicht sehen kann), aber als er das Bild malte, muß er gewußt haben, daß, gleichgültig welcher Nooteboom, Foucault oder Gautier davorstehen würde, der immer denken würde, der Maler sähe ihn an. Er tritt einen Schritt von dem Gemälde zurück, das er gerade malt (und das wir nie sehen werden, es sei denn, es wäre das Gemälde, das wir sehen), er hat seinen langen, feinen Pinsel in eine helle Farbe getaucht (keine Farbe, die ich an diesem Tag trage), er schaut noch kurz (auf wen?) und wird gleich weitermalen.

Ich weiß das, weil er sich selbst auf dem Bild abgebildet hat, das ich sehe. Aber ist er auch auf dem Bild, das ich nicht sehe? Maler malen ihr Selbstporträt mit Hilfe eines Spiegels. Steht an der Stelle, an der ich jetzt (das heißt eine Minute oder drei Jahrhunderte später) stehe, ein Spiegel, in dem er sich malt? Aber er malt doch nicht das Bild, das ich sehe, auf dem Bild, das ich sehe, malt er doch ein anderes Bild? Aber wer ist darauf zu sehen? Wen sehen außer dem Maler die drei, vielleicht fünf, mit den beiden im Spiegel insgesamt sieben anderen dann an? Nicht mich, obwohl sie doch zu mir schauen. Den König und die Königin, die sich aus der Ferne gespiegelt sehen? Aber wenn der Maler auf dem Bild, das ich nicht sehen kann, den König und die Königin malt, wie kann er sie dann hinter sich in dem Spiegel auf dem Bild gemalt haben, das ich sehen kann?

Drei, vielleicht fünf. Das Gesicht des Mannes, der hinter der wasserköpfigen Zwergin steht, liegt im Halbdunkel, so daß ich nicht genau weiß, wohin er schaut. Das gilt auch für den Mann in der hellerleuchteten Türöffnung, der der Wächter zur geöffneten Außenwelt zu sein scheint (und so zumindest den Ausweg aus dem Labyrinth suggeriert). Aber die strahlende kleine Prinzessin, die Sonne, um die die beiden planetarischen Hofdamen (meninas) kreisen, sieht mich (der ich nicht da bin) an oder ihre Eltern (die dem Spiegel zufolge da sind). Was Velazquez hier am Ende seines Lebens malt, ist der Seufzer eines Kindes, ein Flaum, der sich mühelos wegpusten läßt. Und auch wenn er es nicht wußte, er wußte es doch.

Mit fünfzehn wird sie Kaiserin von Österreich, mit zweiundzwanzig ist sie tot. Aber jetzt (!) schaut sie noch, genauso wie der Maler schaut, wie der mächtige Wasserkopf schaut, und als ich mich umdrehe und weggehe und wieder zurückkehre, schauen sie immer noch, und in ihrem Blick ist etwas, das mich an etwas erinnert, und als ich lange genug nachdenke, weiß ich auch, was es ist.

Einmal, in Bangkok, wollte ein Freund mir etwas zeigen, was ich „noch nie gesehen hätte“. So war es. In einer Halle hinter einem Tor befand sich ein großes Schaufenster, das ist noch das beste Wort, in dem etwa dreißig Frauen saßen. Sie trugen Nummern, strickten, schwatzten oder starrten vor sich hin. Manchmal sahen sie einen an, aber es war etwas Unangenehmes an diesem blinden Blick, als schauten sie mitten durch einen hindurch oder sähen einen überhaupt nicht, obwohl sie einen weiterhin anblickten und man selbst auch zurückblickte. Auf meiner Seite der Glasscheibe standen Männer, die eine Nummer aussuchten und dann hineingingen. Dann sah man eine Frau aufstehen, wahrscheinlich wurde eine Nummer aufgerufen, doch das war nicht zu hören. Das war das Geheimnis, wir konnten nichts hören, sie konnten nichts sehen, die Schaufensterscheibe war auf der anderen Seite verspiegelt, was sie sahen, waren sie selbst, nicht wir.

„Du darfst nicht vergessen, daß dieses Bild eine Konstruktion ist“, sagt Rudy Fuchs, den ich zufällig auf dem Flughafen in Barcelona treffe. „Du darfst dich auf dieses Bild gar nicht erst einlassen“, sagt Jeroen Henneman, den ich ein paar Tage später in Amsterdam sehe. Aber wenn es nun ein Spiegel wäre, in den sie schauen, nicht nur der Maler, sondern auch sie, Zwerg, Prinzessin, Höfling, menina? Und der Hund folglich nicht, denn Hunde schauen nicht in den Spiegel. Und der König und die Königin, wie können die sich in dem Spiegel im Bild spiegeln, wenn sie nicht davorstehen? Aber sie können doch neben dem Spiegel stehen, der alles reflektiert, inklusive ihres Spiegelbilds? Ich habe versucht, das Ganze von oben zu zeichnen, als Grundriß, mit Linien für Blickrichtungen und Spiegelung, aber natürlich bin ich daran gescheitert. Dieses Rätsel wurde konstruiert, um mich auszuschließen und damit hineinzulocken. Eine Konstruktion, in der Tat. Und man sollte sich gar nicht erst darauf einlassen. Aber noch, wenn man durch das Bild hinausgegangen ist - Jose Nieto Velazquez, kein Verwandter, jefe de la tapiceria de la reina, hat beflissen den Vorhang vor der hellerleuchteten Türöffnung aufgehalten -, spürt man die zähen Fäden eines unsichtbaren Spinnennetzes um sich, das ein Mann vor dreihundert Jahren für einen gesponnen hat.

Ich verlasse Madrid und fahre über Sigüenza nach Alcaniz in Aragonien. Tafelberge, Wüstenei, ab und an ein paar blühende Mandelbäume. Der Boden hat die Farben Zurbarans, nicht Velazquez‘, die Farbe von Erde, Dürre, Kutten. Dieses Land ist durch die Jahrhunderte unverändert geblieben. 1644 ist der König hier mit seinem Gefolge unterwegs. Im Jahr zuvor ist sein Heer bei Rocroi mit 20.000 Mann vernichtend geschlagen worden. Seither zerbröckelt sein Weltreich, dies war die Wende. An der Grenze zu Katalonien machen sie halt in Fraga, in einem baufälligen Haus malt der Maler den König und seinen Zwerg. In dem Landstrich, durch den sie gezogen sind, war der König nicht mehr willkommen, aber hier steht er drei Tage lang Modell. Jeden Tag wird frisches Schilf gebracht, als Unterlage, damit die Kälte des Steinfußbodens nicht hochkriecht. Rot, Silber, Schwarz, mit allem Putz und Pomp, eine aussterbende Gattung. König, Maler, Zwerg, in ihrer Hofkleidung müssen sie sich in diesem kargen Land wie ein Traum vorgekommen sein.

Übersetzung: Helga von Benningen