„Todesurteil gegen Venedig“

Kommt die Weltausstellung „EXPO 2000“ in die Lagunenstadt? / Pariser Büro entscheidet in sechs Wochen Das Europaparlament stimmt zwar dagegen, aber die große Industrie meldet ihre Interessen an  ■  Aus Venedig Werner Raith

„Der vorletzte Nagel“, sagt Carlo di Maggio, Militanter der Bewegung „Contra EXPO 2000“, „ist immer der, der am besten reingeht. Das Problem ist am Ende nur der letzte Nagel.“ Er lutscht an seinem blutigen Mittelfinger, auf den er beim letzten Nagel der dreißig Meter langen Bretterwand gehauen hat: „Daß das Europaparlament fast einstimmig gegen das Todesurteil gegen Venedig in Form der Monsterschau gestimmt hat, ist schön. Aber der besonders in den letzten Monaten offen gezeigte Zynismus unserer Regierenden schließt damit noch lange nicht aus, daß sie das Ganze durch die Hintertür doch noch auf die Laguneninseln kriegen.“

Da ist etwas dran. Obwohl auf der Bretterwand, die Carlo zusammen mit einer Hundertschaft entschlossener EXPO-Gegner aufgerichtet hat, mehr als 25.000 Unterschriften gegen die Superausstellung gesammelt sind (bei knapp 80.000 Einwohnern, Kinder inbegriffen), obwohl der Stadtrat nahezu einmütig, die Bürgermeister der letzten Jahre allesamt, eine Volksbefragung nahezu 90prozentig ein klares Nein zur ruinösen Schau ergeben haben, stellt sich einer wie der Fels in der Brandung stur und unbeugsam gegen jede andere Lösung

-nicht nur gegen die Aufgabe des Plans, sondern auch gegen andere Bewerber in Italien selbst, etwa Neapel: Gianni de Michelis.

De Michelis ist einer der „Dogen“, will heißen: starken Männer der Lagune, und war selbst einst im Planungsamt der Stadt. Er wolle das Votum aus Straßburg „zur Kenntnis nehmen“, war sein einziger Kommentar, ansonsten hält er nahezu alles, was über die Bedrohung der mit Kunstschätzen dichtesten Stadt Europas berichtet wird, für reine Kolportage: „Sensationalismus, Katastrophengeschrei ohne Fundament, Einmischung fremder Interessen.“

Fiat, Olivetti und IBM

auf der Matte

Das mit den Interessen ist ihm freilich wohl etwas durcheinandergeraten: Die massivsten persönlichen und familiären Interessen nämlich weisen Medien wie politische Gegner gerade dem feist verschlagen auftretenden Außenamtschef selbst nach. In nahezu allen sogenannten EXPO -Förderzirkeln sitzen, neben den Vertretern der oberitalienischen Industrie- und Geldaristokratie Agnelli (Fiat) und de Benedetti (Olivetti), Angehörige oder enge Freunde von de Michelis selbst.

Sein Bruder hat darüber hinaus als Vizepräsident von IBM ein Milliardenprojekt zur Auflistung aller italienischen Kulturgüter laufen, das zur Weltausstellung erscheinen soll. So fürchtet denn der bisherige Bürgermeister Antonio Casellati, ein Mann der industrienahen Republikanischen Partei, ein geschworener EXPO-Gegner, daß in den Wochen bis zur Entscheidung des „Bureau International des Exposition“ in Paris am 14. Juni „noch manches Wechselbad auf uns zukommen wird“.

Schon streuen de-Michelis-Vertraute, daß der Minister sich entweder die Kandidatur Venedigs „zu Höchstpreisen abkaufen lassen wird“, also auch mit seiner persönlichen Aufwertung er möchte, gerade angesichts seines ramponierten politischen Rufs als Playboy beim nächsten Ministerpräsidenten-Karussell als einer der möglichen Kandidaten präsentiert werden. Oder aber er werde den Venezianern derart die Daumenschrauben anlegen, daß sie bald keinen Besucher mehr bekommen, was er mit Hilfe seines Parteikollegen, Umweltminister Ruffini, durchaus könnte - etwa jeweils acht Tage Wassersperrung bei Hochwassergefahr, was den Tourismus ruinieren würde.

Italienischer Sozialistenstreit um Venedig

So hoffen die Angehörigen der Anti-EXPO-Bewegung inständig, daß jene Interpretation zutrifft, die in Zeitungen hartnäckig seit Monaten wiederholt werden: die Entscheidung von Straßburg, die vor allem der EG-Umweltminister Carlo Ripa di Meana herbeigeführt hat, sei in Wirklichkeit nicht unbedingt ein Beweis europäischen Umweltbewußtseins, sondern vor allem ein Teil des inneritalienischen, sogar innersozialistischen Machtkampfes: Wie de Michelis ist de Meana Sozialist, aber er gehört zur Truppe jener Genossen in der dritten Reihe, die gar zu gerne den mächtigen de Michelis aus dem zweiten Glied nach Parteichef Craxi und Vize-Ministerpräsident Martelli aushebeln möchten.

„Wenn das stimmt“, sagt der Philosoph Massimo Cacciari, der sich - erfolglos - für die Kommunisten als Bürgermeisterkandidat zur Wahl gestellt hatte, „sind wir die Weltausstelung los, denn Craxi setzt derzeit mehr auf die anderen als auf seinen Außenminister, der für ihn bereits zum direkten Rivalen geworden ist.“ So ganz glaubt aber auch Cacciari ebensowenig wie die sonstigen EXPO-Gegner daran, daß alleine die de Michelis-Aversion genügen wird, das Problem der EXPO in Venedig zu beseitigen.

„Was wir vor allem fürchten“, sagt Ermete Realacci, Präsident der „Lega per l'Ambiente“, „ist ein Versuch de Michelis‘, die EXPO doch noch nach Venedig zu bringen, indem er einen Teil ins Umland verlagert und dann, einmal mit dem Zuschlag aus Paris versehen, doch alles so macht wie vorgesehen.“ Die Befürchtung ist nicht unbegründet. Einer der Krisenpläne im Außenministerium, den Grüne mittlerweile zugespielt bekommen haben, sieht genau diese Strategie vor.