„Mehr als genug haben wir schon geredet“

US-Außenminister Bakers Kritik wird schärfer / Das offizielle Israel weiter gegen einen Dialog mit Palästinensern / Politikmüdigkeit und Wirtschaftskrise nehmen zu / Eine Million sowjetische Juden werden für die nächste Zeit erwartet  ■  Von Walter Saller

Ist Israel bereits ein fast gelähmter Staat, ein Staat ohne Aussicht auf eine mehrheitsfähige Regierung? Die „nationale Koalitionsregierung“ von Schamirs rechtskonservativem Likud -Block und Peres‘ Arbeiterpartei ist am 15. März an der Frage, wie denn ein Nahost-Friedensprozeß unter Beteiligung der Palästinenser einzuleiten sei, auseinandergebrochen. Und noch zeichnet sich kein Ende des politischen Hin und Hers ab, bei dem zuerst der eigenen politischen Klientel nach dem Mund geredet wird.

Was sich in den letzten Monaten an politischen Kuhhändeln, Pfründeschacher und Buhlen um die Gunst orthodoxer Miniparteien abgespielt hat, führt bei vielen Israelis zu massivem Politikerüberdruß. Längst haben viele BürgerInnen das Interesse an Details über die Verhandlungen verloren. Beinahe täglich gibt es neue Meldungen über mögliche neue Regierungskoalitionen.

Für Israel wäre aber eine innen- und außenpolitisch uneingeschränkt handlungsfähige Regierung unumgänglich. Israel stehen in nächster Zeit bis zu einer Million NeubürgerInnen aus der Sowjetunion ins Haus - und das in einer wirtschaftlich schwierigen Lage.

Die Inflationsrate liegt bei 25 Prozent, die Arbeitslosenquote nähert sich zehn Prozent und die staatliche Verschuldung hat schwindelerregende Höhen erreicht. Allein das Handelsdefizit mit der Europäischen Gemeinschaft lag im Jahre 1988 bei etwa drei Milliarden US -Dollar. Weit über ein Drittel seines gesamten Außenhandels wickelt Israel mit den Staaten der EG ab.

Die EG-Länder äußern zudem offen ihren Unmut über die Weigerung Israels, konstruktive Verhandlungen mit Palästinensern zur Einleitung eines umfassenden Nahost -Friedensprozesses aufzunehmen.

Weit massiver und beharrlicher als die Europäer reagieren inzwischen die USA auf die fehlenden Friedensbemühungen aus Jerusalem. Anfragen aus dem Weißen Haus und dem Außenministerium gehören mittlerweile zur täglichen Kost israelischer Politiker.

US-Außenminister James Baker meinte sichtlich verärgert: „Wir brauchen jetzt Taten. Mehr als genug haben wir schon geredet.“ Ein ebenso gewichtiger Gradmesser für das unterkühlte amerikanisch-israelische Verhältns ist die Tatsache, daß auch die Unterstützung nordamerikanischer Juden für Jerusalem nachläßt.

Doch die Interimsregierung unter Likud-Chef Schamir läßt sogar neue Siedlungen in den besetzten Gebieten bauen und siedelt Neubürger dort an, finanziert den Kauf von Häusern im christlichen Viertel von Ostjerusalem, weist jeden Dialog mit den Palästinensern weit von sich. Daß sich hierdurch die Chancen für eine dauerhafte Friedensregelung rapide verschlechtern, scheint Israels Rechte kaum zu kümmern.

Angesichts einer solch unnachgiebigen Regierungsposition, die jeden Gedanken an einen Dialog mit der PLO zu einem Staatsverbrechen hochstilisiert, greift mancher Extremist zum Sturmgewehr, um das „Palästinenserproblem“ auf mörderische Art zu „lösen“. Dies gilt vermutlich auch für den 21jährigen Ex-Soldaten, der am Sonntag morgen bei Rischon le Zion unweit von Tel Aviv acht Palästinenser erschoß. Nicht anders als jene militanten Siedler, die täglich, wenn auch nicht so spektakulär, für Eretz Israel kämpfen, für ein Groß-Israel.

In Israel gibt es über Eretz Israel jedoch keine Einigkeit. Schon vor längerer Zeit warnte Professor Leibowitz seine jüdischen MitbürgerInnen eindringlich: „Alle Ressourcen Israels dienen heute nur einem Ziel. Dem Ziel, die politische und militärische Kontrolle über die besetzten Gebiete und ihre Bevölkerung mit allen Mitteln zu sichern. Aber dieses Ziel ist nicht vereinbar mit den Interessen des jüdischen Volkes.“

Leibowitz gehört in Israel zu denjenigen, die die jüdischen und palästinensischen Interessen nicht als sich gegenseitig ausschließend betrachten.