Oskar Lafontaine hält alles offen

Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine droht seiner Partei mit der Abdankung von der Kandidatur, wenn die SPD seinen DDR-Kurs nicht mitträgt / Prompt schart sich die Partei hinter ihrem Kandidaten  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Unglaubwürdig, so lautete das Urteil über Dementis der SPD, wonach Oskar Lafontaine seine Kanzlerkandidatur zur Disposition gestellt habe. Durchaus glaubwürdig wird allerdings aus sozialdemokratischen Kreisen berichtet, daß Lafontaine den Staatsvertrag nicht nur aus strategischen Gründen ablehnt: Er bereite der Entwicklung zu einer überstürzten Währungsunion den Weg, stütze das Risiko eines wirtschaftlichen Chaos nicht ab, vernachlässige soziale Belange erheblich.

So soll es der Kanzlerkandidat einschätzen. Seine Partei allerdings wird er auch mit Rücktrittsdrohungen nicht dazu bekommen, daß sie dieser „Fehlsteuerung“ entgegensteuert sprich: verhindert, daß der Staatsvertrag verabschiedet wird. Die Forderung, es müßten die Genossen auf Nachbesserung bestehen, ist also inhaltlich ein Kompromiß. Strategie bleibt sie natürlich dennoch.

Lafontaine gegen Kohl, der Kanzlerkandidat gegen den Kanzler, auf totale Konfrontation gehen, Polarisieren um fast jeden Preis: diesen Kurs kann Oskar Lafontaine mit einer zögerlichen SPD in Sachen Wiedervereinigung nicht fortsetzen. Das genuschelte Nein der Sozialdemokraten zum Staatsvertrag, zu gesamtdeutschen Wahlen vor Bundestagswahlen, zum Tempo der Wiedervereinigung läuft der Strategie der Kandidaten zuwider. Dem Kanzler das Heft aus der Hand nehmen, kann er nur, indem er ihm wirklich etwas entgegensetzt.

Die Partei schließe sich in Sachen Staatsvertrag der harten Gangart von Oskar Lafontaine an. So hieß es gestern schon wenige Stunden nach Beginn der entscheidenden SPD-Sitzung in Bonn. Damit hatte die Rücktrittsdrohung einen weiteren Zweck erfüllt: Die Partei scharte sich hinter ihren Kandidaten, sie ließ ihn Macht demonstrieren, bestätigte seinen Kurs gegenüber der Bundesregierung - wenn auch wohl eher zähneknirschend: Selbst aus dem politischen Umfeld von Lafontaine kam diesmal recht deutliche Kritik. Nun übertreibe er es aber, verlautete etwa. Schließlich sei Bonn nicht Saarbrücken, wo nach solchen Drohungen alle den Kopf einzögen.

Schließlich hatte Oskar Lafontaine mit der Rücktrittsdrohung wohl auch seine Zukunft absichern wollen die als möglicher Kanzler, ebenso wie die als Kanzlerkandidat. Das wird ja direkt wahrscheinlich, so sollen in seiner Sphäre nach den Wahlerfolgen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die Prognosen für einen Sieg der SPD auf Bundes- oder gesamtdeutscher Ebene gelautet haben.

Als künftiger Kanzler muß Lafontaine die Schuld für mögliche verheerende Folgen der Wiedervereinigung abschieben können - zum Beispiel mit dem Verweis, er habe es ja schon immer gesagt. „Einen Abschiedsbrief aus Saarbrücken“ an die SPD-Fraktion hat ein Mitglied der engeren SPD-Führung der 'Süddeutschen Zeitung‘ für den Fall angekündigt, daß sich in Sachen Staatsvertrag keine Mehrheit hinter Lafontaine stellt.

Eine leere Drohung scheint dies ebenfalls nicht zu sein. Lafontaine zieht seine Kandidatur zurück, überläßt die nun schier unlösbare Aufgabe, Opposition zu sein, ohne die Einheit zu bremsen, anderen, mehrt nebenbei seinen Ruhm im Saarland, und vor allem: bleibt potentieller Kanzlerkandidat für die übernächste, möglicherweise für die SPD, aussichtsreichere Bundestagswahl. Über solche Szenarien gesprochen wurde jedenfalls.