De Klerk, der „Modrow vom Kap?“

Der Südafrika-Experte Klaus von der Popp, Köln, über den Zustand Südafrikas und der Apartheid / Sanktionen sollten bald aufgehoben werden  ■ I N T E R V I E W

taz: Welche politische - außer der ökonomischen - Rolle spielt Bonn eigentlich für Südafrika oder gibt es andere Länder, die weitaus wichtiger sind?

Klaus von der Popp: Im Jahr 1988 hat eine neue Kontaktgruppe, bestehend aus den USA, den Sowjets und den Briten mit den Südafrikanern letztlich über die Kapitulation in Namibia und in Angola verhandelt. In jener Zeit ist allem Anschein nach auch schon über das Nach-Apartheid-System Südafrikas geredet worden. Damals sind die oben genannten vermittelnden Staaten abgerückt von der in Bonn bis auf den heutigen Tag hochgehaltenen Vorstellung, daß die Lösung, die man für Namibia gefunden hat, auch Modellcharakter für Südafrika habe. Die Mitglieder dieser neuen Kontaktgruppe haben erkannt, so wie das schon Egon Bahr 1977 formulierte, daß die Probleme Südafrikas zu komplexer Natur seien, als daß man hier simple Lösungen in Form einer Machtumkehr vorschlagen könne.

Die Supermächte und die Briten stehen am Anfang dessen, was wir Anfang Mai in Kapstadt haben beobachten können, nämlich erste Gespräche - noch nicht Verhandlungen - zwischen dem ANC und der Regierung de Klerk.

Und umgekehrt. Welche Bedeutung hat Südafrika für Europa? Ist die Rolle und historische Relevanz de Klerks als Initiator eines Übergangsprozesses etwa sogar vergleichbar mit der Gorbatschows?

Der sowjetische Generalsekratär hat uns alle immer wieder überrascht mit seinen unkonventionellen, sehr mutigen, viele seiner eigenen Landsleute sehr befremdenden Äußerungen und in die Tat umgesetzter Politik. Ähnliches läßt sich sicher von Frederik de Klerk sagen. Er galt lange Zeit als Führer der Nationalen Partei in Transvaal, der wohl konservativsten Provinz Südafrikas. Ferner als jahrelanger Minister im Kabinett Botha, als ein im Grunde außerordentlich konservativer Politiker. Niemand hat erwartet, daß er in Südafrika binnen ganz kurzer Zeit den Weg gehen würde, den er bisher gegangen ist. Er hat hier wirklich das Undenkbare getan. Denn er hat Nelson Mandela und Walter Sisulu nicht irgendwo in ein „Reservat“ in Pension geschickt, sondern ist heute sichtlich bemüht, mit ihnen über das neue Südafrika zu verhandeln.

Europa, Westeuropa, spielt eigentlich nur was Großbritannien anbelangt politische eine Rolle. Thatcher hat hier die Parteien zusammengebracht. Inzwischen haben aber offenbar diese Gespräche ein Stadium erreicht, wo es eines ausländischen Mittlers gar nicht mehr bedarf. Sowohl de Klerk als auch Mandela haben sich dahingehend geäußert, daß die Südafrikaner zumindest fürs erste bemüht sein werden, ihre Probleme ohne die Hilfe von Dritten zu lösen.

Sind Sie wirklich der Meinung, daß es ohne Hilfe oder gar Druck von außen geht? Sie waren jüngst in Südfrika. Wie ist der „mind-set“? Ist diese zerrissene Gesellschaft denn bereit und fähig zur Transformation?

Heute reden die Regierung der Weißen und der ANC miteinander. Es weigern sich die rechts von der Nationalen Partei stehende, latent nicht nur unter den Afrikaans-, sondern auch englischsprachigen Weißen sehr starke „Konservative Partei“. Es weigert sich auch der links vom ANC stehende „Panafrikanische Kongreß“ (PAC). Es wird auf Dauer nicht genügen, daß ANC und Regierung miteinander reden. Der PAC, die weißen Rechten wie auch die konservative Zulu-Bewegung Inkatha werden in Verhandlungen mit einzubeziehen sein. Teile der Wählerschaft de Klerks sind in hohem Maße verunsichert. Wir erleben das in den an Irrsinn grenzenden Auftritten rechtsradikaler Weißer in der Bergarbeiterstadt Welkom. Ich habe den Eindruck, daß viele sich darüber im klaren sind, daß der Status quo unhaltbar ist. Ob es die Mehrheit ist, daran habe ich meine Zweifel.

Das Gros der schwarzen Südafrikaner, organisiert vom ANC, ist wohl der Meinung, daß die Weißen bereit sind, über ihre Kapitulation zu verhandeln. Sie sehen de Klerk in einer ähnlichen Situation wie vor Monaten Hans Modrow in der DDR. Ob Mandela einen Kompromiß aushandeln kann, den er seiner eigenen „constituency“ verkaufen kann, ist die Frage. Wenn er zu sehr nachgibt, wird der PAC die Ernte einfahren. Von daher gibt es für de Klerk und Mandela sicher vergleichbare Risiken. Beide können nach rechts oder links erheblich an Unterstützung verlieren.

Sanktionen waren eindeutig erfolgreich, besonders die Finanzsanktionen. Aber auch ihre psychologische Komponente, die Ächtung und Isolierung Südafrikas. Ist die Zeit reif, das weiße Südafrika mit einer veränderten Sanktionspolitik zu belohnen?

Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß Sanktionen eine hervorragende Rolle gespielt haben, die Weißen von der Unhaltbarkeit des Status quo zu überzeugen. Ihnen war klar, daß sie sich militärisch noch auf Jahre hinaus behaupten können, wirtschaftlich aber einen steilen Abstieg hinnehmen müßten. Ich glaube allerdings, daß der „Point of no return“ erreicht ist. Jetzt ist es an der Zeit für die EG zu sagen: Wenn ihr wirklich miteinander verhandelt, werden wir die Sanktionen aufheben. Man sollte die nächste Verhandlungsrunde abwarten, die dann Verhandlung sein wird, und nicht nur Sanktionen aufheben, sondern versuchen, zu helfen, diese unendlich komplexe Lage in den Griff zu bekommen.

Interview: Andrea Seibel