Katholikentag: „Eine neue Ordnung schaffen“

In West-Berlin findet ab Dienstag im Zeichen der Ost-Öffnung der erste gesamtdeutsche Katholikentag seit 1958 statt / 120.000 TeilnehmerInnen aus 22 Ländern erwartet / Oppositionsgruppen bleiben außen vor: zu schwul, zu papstfeindlich, zu sozialistisch  ■  Von Kotte/Wollborn

West-Berlin, die Stadt der Gottlosen - von 2,1 Millionen EinwohnerInnen sind immerhin mehr als 500.000 ohne Bekenntnis - wird ab Dienstag fünf Tage lang den „Himmel auf Erden“ erleben. Unter diesem Motto steht der 90. Deutsche Katholikentag, der zum ersten Mal seit 1958 wieder eine gesamtdeutsche liturgischen Demonstration werden soll. Zu dem rund 23 Millionen Mark teuren, überwiegend aus staatlichen Mitteln finanzierten Großereignis werden etwa 80.000 Katholiken aus der BRD und 30.000 aus der DDR erwartet.

Auch wenn Katholikentage in aller Regel unpolitischer sind als die Kirchentage der Konkurrenz: Dieser Katholikentag in der Stadt „der Toleranz und der vielfältigen Lebensformen“ (O-Ton Katholikentag-Report) soll die TeilnehmerInnen dazu ermuntern, sich im Zeichen der Öffnung des Ostens „an der Gestaltung einer neuen Ordnung“ und „einer freien, gerechten und friedlichen Zukunft für ganz Europa und darüber hinaus“ zu beteiligen. So meint jedenfalls das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in seinem Grußwort. Der große Aufbruch gen Osten, bestückt mit dem bisher größten Politikeraufgebot (die Ministerpräsidenten Mazowiecki aus Polen und Havel aus der Tschechoslowakei waren eingeladen, sagten aber ab) bekommt einen ganz eigenen vorwärts-rückwärts gerichteten Charakter. Da ist einmal die verhinderte Verfassungsdiskussion und die damit wahrscheinlich verbundene Ausdehnung der Bundesdeutschen Strafparagraphen 218 (Abtreibung) und 175 (Schwule) auf die DDR, die in den Chefetagen der Kirche breite Zustimmung finden wird. Auch das klare Wort des Papstes zur Theologie der Befreiung („Bitte kein Klassenkampf“) während seines Mexiko-Besuchs verdeutlichte nochmals, wie sich die katholische Kirche gegenüber den politischen Problemen der Dritten Welt zu verhalten gedenkt.

So nimmt es denn auch nicht Wunder, daß die kirchenimmanente Oppositions- und Basisgruppe „Kirche von unten“, die bereits ihren fünften Parallel-„Katholikentag von unten“ veranstaltet, sich auch diesmal mit der Mutterkirche anlegte. Trotz üppiger Staatsfinanzierung verweigerten sich die katholischen Offiziellen der Kirchenopposition, die über Ökologie, Multis, Patriarchat, Frieden und Befreiungstheologie politisch diskutieren wird. Von den Basisgruppen beantragte große Räumlichkeiten für Abendveranstaltungen wurden nicht zur Verfügung gestellt. So mußten die Oppositionellen eigens Zelte am Spreebogen am anderen Ende der Stadt anmieten. Grund für die Ablehnung: Beim „Katholikentag von unten“ wirken Gruppen mit, die der Kirchenleitung ganz und gar nicht passen: „Homosexuelle und Kirche“ (HuK), eine Organisation von gläubigen Schwulen und Lesben, die „Altkatholiken“, die das Primat des Papstes ablehnen und ihre Priester und Bischöfe verheiraten, sowie die „Christen für den Sozialismus“. Der Anti-Atom-Bischof Gaillot aus dem französischen Evreux, der auf dem „Katholikentag von unten“ reden sollte, wurde von den Oberen wieder ausgeladen.

Gegenveranstaltungen zum katholischen Aufmarsch kommen auch aus der atheistischen Ecke. Unter dem Namen „Es rettet uns kein höh'res Wesen“ haben sich die Uni-Asten, Freidenker, Frauengruppen, Schwule, Lesben und Kommunisten gegen den Kirchentag zusammengeschlossen. Mit der Zeitung 'Unglaublich‘ ruft das Bündnis zum massenhaften Kirchenaustritt auf, ein „großer heiliger Umzug“ schließt als Prozessionsparodie die Aktionen am Freitag ab.

Dem Ansturm von 120.000 DauerteilnehmerInnen am Katholikentag und dazu noch Tausenden von TagesteilnehmerInnen sieht zumindest die Berliner Polizei gelassen entgegen. Die Stadt, in Massenanstürmen geübt, soll von 1.000 zusätzlichen Beamten vor dem Verkehrskollaps bewahrt werden. Als freiwillige Helfer mit dabei sind die „christlichen Motorradfahrer“. Sie werden als Krad-Scouts die Katholikenbusse vom Lande durch die Wirrnisse der Großstadt lotsen.