: Ein kühler Empfang für die Gäste aus der DDR
Bei der Eröffnung des DGB-Bundeskongresses wurde das deutsch-deutsche Thema bewußt kleingehalten / Für die Gewerkschaften ist die internationale Solidarität noch genauso wichtig wie früher / Unsicherheiten um die Vorstandswahl ■ Aus Hamburg Martin Kempe
„Unter uns sind auch die Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften der DDR“, verkündete der DGB-Vorsitzende Ernst Breit während der Eröffnungsveranstaltung und ließ es bei dieser Erwähnung bewenden. Keine „herzliche Begrüßung“, keine „große Freude“ über die Anwesenheit der Gäste, wie er es noch bei den Gewerkschaftern aus Chile und Südafrika, bei Lech Walesa aus Polen betont hatte, kam über seine Lippen. Irgendwo zwischen den Parteiveteranen der Sozialpolitik und den Vertretern der Sozialversicherungen waren die DDR-Gäste in seiner Eröffnungsansprache versteckt. Wahrhaftig kein großer Empfang der Kolleginnen und Kollegen aus dem anderen deutschen Staat, mit denen zusammen nun eine „einheitliche deutsche Gewerkschaftsbewegung“ möglichst noch vor der staatlichen Vereinigung aufgebaut werden soll. Als Gastredner hatte man Willy Brandt zur Eröffnungsfeier geladen, ausdrücklich nicht als Wegbereiter der Ostpolitik, sondern in seiner Rolle als Vorsitzender der Nord-Süd -Kommission.
Es war eine bewußte politische Akzentsetzung, mit der der 14. ordentliche Bundeskongreß des DGB in Hamburg eingeleitet wurde und die am Montag auch im Rechenschaftsbericht des scheidenden DGB-Chefs fortgesetzt wurde. Ausführlich würdigte Breit die Verdienste der polnischen Solidarnosc für die demokratische Umwälzung in Osteuropa. Ausdrücklich hob er die Notwendigkeit einer intensiveren gewerkschaftlichen Zusammenarbeit in ganz Europa hervor, nicht ohne hinzuzufügen, daß bei aller Freude über die Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa „unsere Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt“ nicht vernachlässigt werden dürften. Erst danach wandte er sich den deutsch-deutschen Gewerkschaftsproblemen zu.
Der DGB signalisiert in Bezug auf die DDR-Gewerkschaften offensichtlich immer noch Zurückhaltung. Zwar ist mit der Entmachtung des FDGB der Weg zur Vereinigung der Gewerkschaften vorgezeichnet, aber die Skepsis des DGB über die Qualität der Erneuerung in den DDR-Gewerkschaften schwingt unüberhörbar mit, wenn Breit konstatiert, „daß bei dem großen Teil der Gewerkschaften der DDR der notwendige Erneuerungsprozeß begonnen hat und deutlich sichtbar zu werden beginnt“. Offensichtlich gibt es gegenüber einzelnen DDR-Gewerkschaften noch Vorbehalte, die allerdings bislang nicht ausgesprochen wurden.
Natürlich wird der deutsche Vereinigungsprozeß den einwöchigen Kongreß des DGB bestimmen. Aber der erste Arbeitstag gehörte dem Solidarnosc-Vorsitzenden Lech Walesa. Die Solidarnosc ist noch in den Jahren der Illegalität vom DGB unterstützt worden und sucht heute die Nähe zum europäischen Gewerkschaftsbund, dem sie als assoziiertes Mitglied bereits angehört. In einer Grußrede am Montagmorgen betonte er, die Solidarnosc habe keine Vorbehalte gegen die deutsche Vereinigung, sondern setze auf einen Prozeß gesamteuropäischer Annäherung. Dennoch gibt es Befürchtungen, daß die reiche Bundesrepublik sich nun ausschließlich auf die Entwicklung der DDR konzentriert und für Polen und andere Länder nichts mehr übrigbleibt. „Verwöhnte Kinder werden auch sehr kaprizöse Kinder“, ermahnte der erfahrende Vater davor, die Segnungen westlicher Investitionen allzu einseitig auf die DDR zu lenken.
Der DGB wird auch mit sich selbst zu tun bekommen, denn die Unzufriedenheit innerhalb der Gewerkschaften über die vorgesehene Wahl des IG Bergbau-Chefs Hans-Werner Meyer wird auch von jenen nicht verheimlicht, die sich bereits auf seine Wahl festgelegt haben. Inzwischen hat der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz, eine Gegenkandidatur nicht mehr ausgeschlossen. Als CDU-Mann dürfte er allerdings wenig Chancen haben. Als zweite CDU-Kandidatin für den geschäftsführenden Hauptvorstand bewirbt sich, nachdem die bisher für Jugend und Bildung zuständige Vorständlerin Ilse Brusis ihren Wechel in das Kabinett Rau angekündigt hat, die Frankfurter ÖTV-Funktionärin Regina Görner, die vor ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit im Büro Süssmuth arbeitete.
In seinem Rückblick auf die letzten vier Jahre erwähnte Ernst Breit auch ein Kapitel, das den Gewerkschaften „viel Kraft, viel Geld und - was noch schwerer wiegt - viel Ansehen“ gekostet hat: Die Geschichte der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft neigt sich dem Ende zu. Die Amtszeit von Breit war ausgefüllt von dem Versuch, den Neue-Heimat -Skandal zu bewältigen.
Breit ist der Meinung, die Gewerkschaften hätten „mit Ausnahme des Falles Schiesser“ alles in allem richtig gehandelt, indem sie ihr unternehmerisches Engagement in den letzten Jahren abgebaut haben. Natürlich war nicht nur dieses Verdienst gemeint, als ihm vor Kongreß-Beginn vom Bundespräsidenten das teuerste Ordenslametta der Bundesrepublik umgehängt wurde: das große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband.
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