Bauchlandung für NRW-Regierung

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe weist im Streit um den Schnellen Brüter die Klage aus Düsseldorf zurück / Tschernobylunfall ist kein Anlaß, das Konzept des Schnellen Brüters neu zu bewerten  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Die NRW-Landesregierung ist in Karlsruhe mit einer harten Bauchlandung aufgekommen. Im Rechtsstreit um den Schnellen Brüter wurde der Hilferuf der Düsseldorfer Genossen gegen eine Bundesweisung vom Bonner Atomaufseher Klaus Töpfer gestern abgeschmettert. Das von Töpfer ausgesprochene Verbot war rechtens, entschieden die BVG -Richter.

Die von NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen angestrengte und von Töpfer untersagte neue sicherheitstechnische Überprüfung des umstrittenen Reaktors in Kalkar vor dem Hintergrund des Tschernobylunfalls findet damit definitiv nicht statt.

Der zweite Senat des BVG stellte fest, daß Töpfer seine Weisungskompetenz gegenüber dem Land zu Recht in Anspruch genommen habe. Diese Weisung zwinge die Landesregierung nicht zu „unverantwortbarem Handeln“. Das Land habe nämlich nichts vorbringen können, was auf eine unmittelbare Gefährdung von Leben und Gesundheit hindeute. Das Gericht betonte aber auch, daß damit nicht jegliche Überprüfungen des Reaktors im Zusammenhang mit Tschernobyl ausgeschlossen seien. Die Weisung Töpfers gestatte es, Untersuchungen aufzunehmen, sofern es Anhaltspunkte für relevante Sicherheitsdefizite gebe. Eine solche Überprüfung dürfe aber nicht eine völlige Neubewertung des Sicherheitskonzeptes zum Ziel haben. Die „sicherheitstechnischen Grundpositionen“ müßten „Bestandsschutz“ haben, entschied das BVG.

Die Brüter-Fans werfen NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen eine gezielte Verschleppungsstrategie und Untätigkeit vor. Auch in ihrem neuen Positionspapier, das die Atomindustrie zu ihrer „Jahrestagung Kernenergie“ vergangenen Woche in Nürnberg vorlegte, wird Jochimsen wieder scharf angegangen. Kernsatz: „Derzeit ist nicht absehbar, daß die Landesregierung von NRW von ihrer nicht hinnehmbaren Untätigkeit abrückt, die den Eindruck erweckt, Antragsteller und Finanziers sollen so lange hingehalten werden, bis sie selbst das Projekt aufgeben.“

Tatsächlich hatte die Landesregierung in 13 Jahren 17 Teilgenehmigungen für den Koloß am Rhein anstandlos passieren lassen, die letzte im Oktober 1985. Doch seitdem herrscht Ruhe an der Genehmigungsfront, der Brüter liegt im Koma. Den letzten Schlag hat ihm im April 1986 der explodierte Reaktor von Tschernobyl versetzt. Dieser Unfall hatte politisch viele Genossen zum endgültigen Abschied vom Brüter bewegt. Seitdem predigt der Düsseldorfer SPD -Fraktionschef Fahrtmann, daß das „Höllenfeuer von Kalkar“ niemals entfacht werden dürfe. Aber auch im konkreten Genehmigungsverfahren blieb die Reaktorkatastrophe in der Ukraine nicht ohne Folgen. Die NRW-Landesregierung verlangte eine neue wissenschaftliche Sicherheitsbewertung vor dem Hintergrund von Tschernobyl. Im Mittelpunkt dieser Neubewertung sollte der sogenannte „Bethe-Tait-Störfall“ stehen, der bisher schon den Streit um die wacklige Sicherheit des Brüters beherrschte. Bei diesem Störfall und hier liegt die Parallele zu Tschernobyl - schwillt die atomare Kettenreaktion plötzlich lawinenartig und unbeherrschbar an. Die damit verbundene Hitzeentwicklung wird mit einem Schlag freigesetzt, der Reaktor explodiert. Unter den bundesdeutschen Atommeilern ist nur beim Brüter ein solches Szenario denkbar. Mit dem Unfall von Tschernobyl, so argumentiert der Bremer Brüter-Gutachter Richard Donderer, biete sich die Möglichkeit, „bisher rein theoretische Modellrechnungen anhand der Realität zu überprüfen“. Stimmt die Sicherheitsphilosophie, stimmen die papiernen Annahmen von einem Unglücksverlauf mit der Realität überein? Oder muß das Sicherheitskonzept des Brüters vielleicht grundlegend geändert werden?

Töpfer und seine Reaktorsicherheitskommission (RSK) wehrten sich von Beginn an gegen die Tschernobyl-Neubewertung. Und in einem Gutachten zur Notwendigkeit neuer Gutachten erkannte die RSK pflichtgetreu, daß „ein Unfall mit vergleichbaren Folgen wie in Tschernobyl beim SNR-300 (Brüter) auszuschließen“ sei. Mit dieser Stellungsnahme im Gepäck machte Töpfer schließlich ernst und schickte - ein Novum in der bundesdeutschen Atomgeschichte - der Düsseldorfer Landesregierung eine Weisung, mit der er eine neue Überprüfung des Reaktors amtlich untersagte. „Prüfverbot!“ - „Denkverbot!“ jaulte die NRW-Landesregierung und marschierte prompt nach Karlsruhe, um sich höchstrichterlichen Beistand zu holen.

Bonns Umweltminister Töpfer sieht sich vom Karlsruher Urteil voll bestätigt. Ohne die ausstiegswilligen rot-grünen Landesregierungen Niedersachsen und Schleswig-Holstein beim Namen zu nennen, strich Töpfer auch die „Grundsatzbedeutung“ des Urteils für künftige Bund-Länder-Konflikte heraus. Töpfer wies zugleich daraufhin, daß mit der Karlsruher Entscheidung kein Ja oder Nein zur Inbetriebnahme des Brüters gesprochen sei. Dies bleibe offen. Das Genehmigungsverfahren könne jetzt aber zügig weitergeführt werden.