piwik no script img

Bodo W.: „Wo soll ich hin?“

■ Drei Monate Knast für Obdachlosen Bodo W. / 59 Hausverbote im Bahnhof Zoo / „Man schickt uns 'raus, aber in der Öffentlichkeit ist das Trinken auch verboten“

Moabit. Die Liste will kein Ende nehmen. Bevor der junge Staatsanwalt seine Aufzählung beendet hat, muß er 59 mal Hausfriedensbruch aufzählen. „Waren Sie denn an den erwähnten Tagen im Bahnhofsgebäude Zoo“, fragt der Vorsitzende Richter den Angeklagten Bodo W. (49) im Moabiter Strafgericht. „Fragen Sie mich 'was leichteres“, antwortet der Obdachlose. Genau kann sich Bodo W. nicht daran erinnern. Die Polizisten, die ihn und seine - auch obdachlosen - Freunde auf dem Kiecker hatten, haben ihn nicht immer angesprochen, wenn sie ihn wegen Hausfriedensbruches notierten. Aber er habe in dem besagten Zeitraum von September letzten Jahres bis Februar dieses Jahres immer eine Fahrkarte dabei gehabt, erzählt Bodo W. dem Gericht.

„Das mit dem Fahrschein ist 'ne Ausrede“, sagt dazu Polizeibeamter Peter L., „das weiß der aber ganz genau, der berechtigt ja nur zum Fahrtantritt, nicht aber zum Trinken oder Schlafen in der Bahnhofshalle“. Der Polizist hat den Angeklagten in den vergangenen Monaten häufig im Zoo erwischt hat. Doch Bodo W., gestern im Gericht mit weißer Augenbinde erschienen, will von dem Beamten wissen, ob er bei ihm „schon 'mal eine Blutprobe genommen“ habe. Immerhin handele es sich bei Hausfriedensbruch um eine Straftat, erklärt der Angeklagte, der sich ohne anwaltlichen Beistand selbst verteidigt. „Dann wären Sie jeden Tag bei mir gewesen“, kontert der Bulle - und zum Richter: „Der war jeden Tag betrunken.“

Doch für Bodo W. liegt das Problem ganz woanders. Obdachlos, ohne ein zu Hause, ist seine Welt der Bahnhof Zoo: Zwischen Werbe- und Kachelwänden sind seine Freunde. „Wo soll ich hin?“, will Bodo. W wissen. „Man schickt uns vor die Tür, aber in der Öffentlichkeit ist das Trinken auch verboten.“ „Wir beide haben uns doch schon darüber unterhalten“, antwortet der Richter. Es sei ein politisches Problem.

Bei den Zuschauern findet das Urteil, drei Monate Knast für Bodo W., kein Verständnis. Ein Mitarbeiter von der „Beratungsstelle für Nichtseßhafte“ in der Levetzowstraße: „Aus der Kneipe werden die doch auch 'rausgeworfen.“

diak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen