„Ich habe ein ruhiges Gewissen“

■ Soldaten filmten im Zweiten Weltkrieg: Harriet Eders und Thomas Kufus‘ Dokumentarfilm „Mein Krieg“

Sechs ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht erzählen vom Zweiten Weltkrieg. Rüstige ältere Herren erinnern sich, mit Worten und mit Bildern. Mit der handlichen Schmalfilmkamera im Waffenrock waren sie bereit für die totale Eroberung. Und da die Kamera so robust war und auch unter extremsten Bedingungen funktionierte, hat sie den Krieg überlebt. Genau wie die Männer hinter ihr und ihre Bilder.

Für ein Projekt der Filmemacher Harriet Eder und Thomas Kufus kramten die sechs in Schachteln und Schubladen, Schränken und Kellern, um verstaubte Filmrollen ans Tageslicht zu fördern. Teile dieses umfangreichen Materials wurden am Schneidetisch zu einer filmischen Dokumentation: Chronologisch montierte Ausschnitte verbinden sich in Mein Krieg zu einem groben Abriß des Zweiten Weltkriegs - von der militärischen Ausbildung, dem Einmarsch in Polen und der Sowjetunion über die Kämpfe an der Ostfront bis zum Rückzug der deutschen Armee.

Interviews mit den Hobby-Filmern unterbrechen die Dokumentation. Bereitwillig erzählen sechs ehemalige Soldaten ihre Version der Vergangenheit. Beim Betrachten der Filmausschnitte machen sie sich Gedanken über ihren Krieg und ihre Bilder. „Man ist gleich wieder drin in der damaligen Zeit, was fehlt, ist ja nur der Ton von damals“, sagt einer der Männer.

Mein Krieg konfrontiert mit Filmausschnitten, die anders sind als die offizielle Kriegsberichterstattung in Wochenschauen: Keine Aufnahmen, wie sie Propaganda-Profis während des Kriegs gedreht haben, sondern Filme von Soldaten, die den Krieg aus ihrer eigenen, subjektiven Perspektive sehen. Es sind Bilder, fürs Familienalbum geschossen, um den Daheimgebliebenen zu zeigen, wie es wirklich war. Filme, als Gedächtnisstützen gedacht, um sich nachträglich zu versichern, daß es „wirklich“ so gewesen ist.

Von einem Turm wird das verwüstete Warschau aus der Vogelperspektive erfaßt. Der Panorama-Blick ist postkartenbunt. Hinter der Kamera scheint es leichter, auf zerbombte Städte und verkohlte Leichen zu blicken. „Es ist so, als ob man Bäume oder Landschaften photographiert“, sagt einer der Amateuerfilmer. Das Schlachtfeld als Schau-Platz, gefilmt wird, um nicht genau hinsehen zu müssen.

An einem vorbeirollenden Panzer streift das Kamera-Auge einen Galgen. Die Opfer der Henker bleiben dunkle Schemen. Neben endlosen Landstraßen läuft die Zivilbevölkerung als graue Linie. Ein abgeschossener Bomber wird von weitem mit dem Normalobjektiv eingefangen, mit dem Tele kann man sich versichern. Der Krieg und das Filmen: ein Abschlachten auf Distanz, bei dem die Gegner unsichtbar bleiben.

Die Bilder von der Front, von der Routine des täglichen Kämpfens und Tötens vermischen sich mit Aufnahmen der soldatischen Freizeit. Kameraden kochen, lesen, schreiben Briefe, sonnen sich und baden im Schwarzen Meer. Es scheint Urlaub und so, als ob man eine Reise tut. „Ich wollte festhalten, wo ich überall war“, kommentiert einer der Hobbyfilmer, „Polen, Ungarn, Rumänien, Sowjetunion.“ Harriet Eder und Thomas Kufus versuchen, in den Gesichtern der Soldaten die Angst vor dem nächsten Angriff aufzuspüren und frieren den Ausschnitt ein. Ob der junge Mann mit den abstehenden Ohren noch lebt?

Abrupt verschwindet die Ferienlageridylle. Abschließend der Rückzug der geschlagenen deutschen Armee, allerdings wird er nur spärlich dokumentiert. Bilder von Bandagierten und Blutigen, von verstümmelten Leichen, zerbombten Städten und verkohlten Wäldern verdichten sich unweigerlich zur Frage nach der Verarbeitung des Erlebten und Gesehenen.

Sechs Männer sitzen wohlbehalten in ihren Wohnzimmern und machen sich nachträglich Gedanken. „Als Soldat war ich Mittäter“, sagt nur einer. „Ich habe ein ruhiges Gewissen, bis heute - kristallklar“, formuliert ein anderer selbstbewußt den letzten Satz von Mein Krieg.

Beim Verlassen des Kinos sind es diese Worte, die nachhaltig wirken. Gerade die Zuspitzung auf das moralische Urteil ist jedoch - bei aller Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Schlußsatz - die Schwäche des Films. Am Anfang stand die kritische Reflexion über den Zusammenhang zwischen Film, filmen, Krieg und kriegführen. Es wäre schade, wenn dieser andere Blickwinkel über das Ende verlorenginge.

Michaela Lechner

„Mein Krieg“. Regie: Harriet Eder und Thomas Kufus, BRD 1989/90, 90 Min., 16mm, Farbe und s/w.

In Berlin läuft der Film ab morgen in der „Filmbühne am Steinplatz“. Am Freitag, 25.Mai und Samstag, 26.Mai findet im Anschluß an die Vorführung eine Diskussion mit den Filmemachern statt.