Finanzgruppe Deutsche Bank - Macht ohne Kontrolle

Zur hohen Zeit der Jahreshauptversammlungen haben die „kritischen Aktionäre“ ein Handbuch über Macht und Einfluß der Deutschen Bank herausgegeben  ■  Von Dietmar Bartz

Für AktionärInnen, die zur Hauptversammlung „ihres“ Unternehmens wollen, fällt die Reisezeit meist in die Monate Mai und Juni. Fast jeden Tag findet irgendwo eine HV statt, wie sie kurz genannt wird. In der Regel spricht der Vorstandsvorsitzende zur gesamtwirtschaftlichen Lage und der Finanzvorstand über die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres. Dann beantragt der Vorsitzende des Aufsichtsrates die Entlastung des Vorstandes und empfiehlt den AktionärInnen, dem Dividendenvorschlag zuzustimmen. Entschieden wird natürlich nicht nach der Zahl der erhobenen Hände, sondern danach, für wieviele der Anteilsscheine eine erhobene Hand steht. In der Regel stimmt die überwältigende Mehrheit den Anträgen des Podiums zu. Die Aktionärs -Schutzvereinigungen können am nächsten Tag in der Zeitung neben den Worten des Vorsitzenden auch ihre Mängelberichte nachlesen.

Doch seit es die „kritischen Aktionäre“ gibt, ist für ein Ende dieses speziellen „Gemütlichkeitskartells“ gesorgt. Von der Resonanz, die sie mit ihren Redebeiträgen und Fragen unter den sonst so gelangweilten Medienleuten erzielen, können die Wertpapierschützer nur träumen. Ihnen würde es allerdings auch nicht im Traum einfallen, Anträge zu stellen, die auf die Tätigkeit „ihres“ Unternehmens mit und in Ländern der Dritten Welt aufmerksam machen, die die Kollaboration mit dem Apartheid-Regime in Südafrika anprangern oder Rüstungsgeschäfte kritisieren.

Macht ohne Kontrolle, ein soeben zur Hauptversammlung der Deutschen Bank herausgegebenes Handbuch über das größte Geldhaus der Republik, geht allerdings darüber hinaus.

Denn hier haben sich die „Kritischen“ der Deutschen Bank (und anderer Unternehmen) mit einigen linken Bankkritikern zusammengetan, die ihnen durchaus distanziert und zuweilen ausgesprochen arrogant gegenüberstehen. Der Vorwurf: Die Basisinitiativen kümmerten sich nur um einzelne Flecken auf der schmutzigen Weste der Bank, während sich die grundlegende Kritik mit der Weste selbst beschäftigen müßte. Für die Zusammenarbeit hat es nun dennoch gereicht.

Die dreizehn Aufsätze der so unterschiedlichen AutorInnen befassen sich nicht nur mit den schon klassisch gewordenen Themen wie Verschuldung der Dritten Welt, Umweltsponsoring und (Atom-)Energiemonopole, die allesamt auf den Stand von Anfang 1990 gebracht sind. Hinzugekommen ist nun die explizite Kritik an der wirtschafts- wie industriepolitischen Macht der einflußreichsten kapitalistischen Institution der BRD. Zwar ersetzt sie nicht die Beschäftigung mit Daimler-Benz, den Rheinisch -Westfälischen Elektrizitätswerken oder der VEBA, aber sie stellen deren Geschäftspolitiken in einen gemeinsamen Zusammenhang - den der „Finanzgruppe Deutsche Bank“. Und schließlich sind weite Passagen der Kritik an der unkontrollierten „Wirtschaftsdemokratie“ ohne weiteres auf die anderen Großbanken oder die ökonomische Verfassung der BRD insgesamt übertragbar.

Hermannus Pfeiffer, Klaus Bartsch und Arno Gottschalk beschreiben in ihren Aufsätzen, wie die Deutsche Bank durch die vier Ebenen der Macht ihren Einfluß auf die Industrieunternehmen ausübt. Diese vier Säulen sind der Eigenbesitz der Banken an Aktien, das von uninteressierten KleinaktionärInnen ihren Banken eingeräumte Depotstimmrecht für die HVs, ferner die Personalverflechtungen zwischen der Bank und den Aufsichtsräten der Industrieunternehmen und schließlich der Einfluß des Kreditgebers auf die Geschäftspolitik der Firmen. Wenn ein Bankenvertreter auf einer HV mit seinem Händeheben locker zehn- oder hundertmal soviele Stimmen vertritt wie alle anderen KleinaktionärInnen im Saal zusammen, wenn Vorstand und Aufsichtsrat längst eine gemeinsame Marschroute festgelegt haben und die Großbankenvertreter vor der Hauptversammlung unter sich die letzten etwaigen Unstimmigkeiten ausgeräumt haben, können die Kleinen allenfalls noch an diesen Säulen kratzen.

Anhand von sieben großen Fusionen der letzten Jahre versucht Gottschalk zu zeigen, wie die Deutsche Bank ihre Industriepolitik betreibt und dabei ihren Einflußbereich stetig ausweitet. Unter Berücksichtigung geschickt ausgewählter Schachtelbeteiligungen, die ein Veto der Bank gegen mißliebige Grundsatzentscheidungen von Unternehmensvorständen ermöglicht, schätzt Bartsch, daß die Deutsche Bank erheblich mehr als 12,5 Prozent des gesamten inländischen Aktienbesitzes kontrolliert. Hauptzielrichtung der Erweiterungswünsche: die mit dem Staatsapparat verflochtenen Unternehmen der Rüstungs-, Energie-, Telekommunikations- und Luft- und Raumfahrtindustrie.

Und wer kontrolliert die Deutsche Bank? Via Depotstimmrecht sie sich selbst, mit 47,2 Prozent der HV-Stimmen etwa im von Gottschalk untersuchten Jahr 1983. Den zweitgrößten Aktionärsblock stellte die Dresdner Bank - mit nur 8,6 Prozent. Der „Kreislauf der Macht“ (Pfeifer umfaßt aber auch den Aufsichtsrat des Hauses, denn dessen Kapitalseite setzt sich entweder aus ehemaligen Deutsch-Bankiers oder Managern befreundeter beziehungsweise abhängiger Unternehmen zusammen - die ihrerseits von Aufsichtsräten bestellt werden, die von der Deutschen Bank dominiert sind.

So wenig Kleinaktionäre wie Öffentlichkeit etwas über ihre Absprachen erfahren, so geheimnisvoll stellt sich bei genauerer Betrachtung auch die Bilanz dar. Angelina Sörgel beleuchtet die verschleiernde Bilanzpolitik mit ihren versteckten Risiken, verheimlichten Gewinnen und stillen Reserven - allerdings gnadenlos für Fachleute geschrieben.

Zuweilen geht die Kritik auch mit den Kritikern durch. Durchaus symptomatisch ist es, wenn die Bank in der Einleitung zum „größten bundesdeutschen und europäischen Geldinstitut“ wird (in Europa liegt sie auf Platz 6) oder Roth das Ergebnis der Daimler/MBB-Fusion gleich zum „größten europäischen Rüstungskonzern“ macht (das ist immer noch die französische Thomson). Die Bank, schleicht sich der Eindruck ein, tanzt auf allen Hochzeiten und gewinnt immer. Wo dies nicht auf den ersten Blick deutlich ist, bleibt es nach Gottschalk ein „Geheimnis“ (bei der Nixdorf-Pleite) oder „noch ein wenig undurchsichtiger“ (bei der Preussag/Salzgitter-Fusion, bei der die Westdeutsche Landesbank den größten Schnitt gemacht hat). Überhaupt nicht ins widerspruchsfreie Bild der penetrant erfolgreichen Deutschbankiers paßt auch, daß sie mit der Gründung ihrer eigenen Lebensversicherung ausgerechnet die Allianz in die Allfinanz-Kooperation mit der Dresdner Bank getrieben hat.

Auch systematisch lassen sich einige Einwände erheben. So dürfte die Bedeutung von Schachtelbeteiligungen an Vorschaltgesellschaften, über die ein Veto-Recht in deren Tochtergesellschaften möglich ist, übertrieben sein zumindest fehlen die Belege dafür. Eine indirekt verneinte relative Autonomie von Unternehmensvorständen gegenüber den Aufsichtsräten ist durchaus möglich; umgekehrt ist ein von den Banken organisiertes bundesdeutsches „Gemütlichkeitskartell“ (Bartsch) aus wenigen Anbietern, die anderen den Marktzutritt erschweren und zudem die Preise hochhalten, in Zeiten der profitablen Weltmarktkonkurrenz schlichtweg unzeitgemäß.

Wer so argumentiert, mag sich den Vorwurf der Abwiegelei gefallen lassen müssen. Doch das ändert ebensowenig etwas an den notwendigen Widersprüchen innerhalb der und für die Entwicklung einer Macht wie an der Nützlichkeit des Handbuchs für den kritischen Umgang mit ihr.

Kritische Aktionäre e.V. (Herausgeber): „Macht ohne Kontrolle . Berichte über die Geschäfte der Deutschen Bank“, Stuttgart, Schmetterling-Verlag, 22,80 DM.