Wiedervereinigung auf arabisch

Seit gestern leben die Jemeniten am „Tor der Tränen“ wieder in einem Staat zusammen / Nachbar Saudiarabien bleibt skeptisch und unterstützt nordjemenitische Stämme  ■  Von Walter Saller

Berlin (taz) -Bab al-Mandab, „Tor der Tränen“ nennt man jene Meerenge, an der das Rote Meer in den Golf von Aden mündet. Dort, im Südzipfel der Arabischen Halbinsel, liegen die beiden jemenitischen Republiken. Wie die Deutschen lebten die JemeniteInnen in zwei Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen. Marktwirtschaft herrschte im nördlichen Jemen, der Arabischen Republik Jemen, Planwirtschaft im südlichen, der Demokratischen Volksrepublik Jemen. Und während sich der Norden politisch eher dem Westen zugehörig fühlte, pflegte der Süden enge Beziehungen zu der Sowjetunion. Feindliche Brüder am „Tor der Tränen“, so nannte man daher die beiden südarabischen Republiken. Mehrfach gab es in der Vergangenheit militärische Auseinandersetzungen. Doch stets versöhnten sie sich wieder und verkündeten für eine unbestimmte Zukunft Vereinigungsabsichten.

Just am gestrigen Dienstag gaben die beiden Bruderstaaten nach dreihundertjähriger staatlicher Trennung ihre Wiedervereinigung bekannt. Unerwartet kam die Staatsfusion dabei für niemanden. Schon 1989 wurde die Grenze zwischen beiden Ländern weitgehend geöffnet. Anfang Mai dieses Jahres einigten sich die beiden Präsidenten auf einen gemeinsamen Wechselkurs für ihre Währungen. Auch auf eine gemeinsame Hauptstadt hatte man sich bereits verständigt: Sanaa, die eine halbe Million EinwohnerInnen zählende nordjeminitische Kapitale. Die südjemenitische Haupt- und Hafenstadt Aden mit etwa 250.000 BewohnerInnen wird dagegen zum Handelszentrum. Erster Regent des neuen Jemen wird der nordjemenitische Präsident Oberst Ali Abdallah Saleh sein. Knapp zwölf Millionen EinwohnerInnen wird der Gesamtjemen zählen: 9,5 Millionen Nord- und 2,4 Millionen SüdjemenitInnen.

Für die nunmehr vollzogene Vereinigung sprechen auch wirtschaftliche Gründe. Zum einen wurden an der gemeinsamen und über weite Strecken hin unklaren Nordgrenze größere Ölreserven entdeckt. Da beide Staaten das „schwarze Gold“ für sich reklamierten, war es zwischen den Bruderländer bereits zu militärischen Scharmützeln gekommen. Und zum anderen ging der Südjemen in jüngster Zeit der sowjetischen Wirtschaftshilfen weitgehend verlustig und war kaum mehr in der Lage seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Ohnehin zählten beide jemenitische Staaten zu den absoluten Habenichtsen der Erde.

Doch trotz der Einigungsvorbereitungen überrascht das atemberaubende Tempo, mit dem die Staatsfusion jetzt vollzogen wurde. Denn ursprünglich war sie erst für den 30. November 1990 geplant. Dann wurde sie für den 27. Mai angekündigt und nun bereits am 22. Mai vollzogen. Es gibt allerdings auch gute politische Gründe für den forcierten Fusionsprozeß. Innenpolitisch bereitet dem nordjemenitischen Präsidenten der massive Widerstand praktisch autonomer Stammesverbände gegen die staatliche Einheit einiges Kopfzerbrechen.

Denn diese bangen zu Recht in einem zentralistischer organisierten Gesamtjemen um ihre großzügigen Sonderfreiheiten. „Der Einigungsprozeß ist deshalb so beschleunigt worden“, meinte ein Mitglied des nordjemenitischen Parlaments vorsichtig, „um Manipulationen innerer, religiöser Kräfte zu verhindern.“ Einfacher, weil mit etablierter Zentralgewalt ausgestattet, hat es der seit dem „Bruderkrieg der Kommunisten“ vom Januar 1986 regierende, südjemitische Präsident Haidar Abu Bakr al -Attas.

Nächster Schritt hin zum praktischen Vollzug der Einheit wird die Bildung eines Gesamtparlaments mit 301 Mitgliedern sein. Danach gilt es, eine gemeinsame Verfassung zu verabschieden.

Ungewiß bleibt, wie sich der große Nachbar Saudi-Arabien verhalten wird. Denn der bislang größte Geldgeber des Nordjemen steht einem vereinigten Jemen argwöhnisch gegenüber, könnte doch der neue Gesamtjemen als bevölkerungsreichstes Land der Arabischen Halbinsel mit weit größerem Gewicht auf die Lösung strittiger Grenzfragen mit Saudi-Arabien drängen. In Riad versucht man daher, den Widerstand der autonomen, nordjemenitischen Stämme gegen den staatlichen Einigungsprozeß finanziell und ideologisch zu stärken.