Riesenapplaus gab's für den Kardinal...

■ ... und Buhrufe für Momper / Ein Spaziergang über den Katholikentag / Subjektive Betrachtungen eines Kirchengegners und Atheisten über die da oben - und ihre gar nicht so zahme, aber machtlose Basis / Kommt alles Gute wirklich von oben?

Das etwas andere Zentralkomitee hat gerufen, und sie sind gekommen. Zuhauf, nur ER ist nicht dabei. Aber Gottseidank ist Helga Goetze, legendäre Straßenpredigerin der selbstbestimmten Lust, wie immer, vor Ort. „Ficken ist Frieden“, ruft sie am Breitscheidplatz, zwei abseits stehende Priester schauen sich fragend an. Sind sie, die Friedensmänner, nun kraft des römischen Sexverbotes, Krieger? Andere sind da schon weiter. Die „Vereinigung der katholischen Priester und ihrer Frauen“ verteilt auf dem Weg zur Eröffnungsveranstaltung am Schloß Charlottenburg Unterschriftenlisten zur Aufhebung des Zölibatsgesetzes. Unter einen Herdenbrief der Katholiken an ihre Hirten sollen eine Million Unterschriften gesammelt werden. Da für die machtbewußten Stellvertreter Gottes auf Erden Basiswille nicht halb soviel wert ist wie für den Atheisten das Amen in der Kirche, werden sie die vielen Namen ignorieren. Damit aber kommt, wie eine der Organisatorinnen erhofft, die Stunde der Wahrheit. „Dann ist bewiesen: Die Kirche ist eine Diktatur.“

Während gutgläubige Gläubige hoffen, die Kirche mit Allerweltswissen zu erschrecken, wird bei der Eröffnungsveranstaltung der Sozialdemokrat Walter Momper mit wenig Applaus, aber einigen Buhrufen begrüßt. Bei Kardinal Meisner ist das anders. Bei dem weiß jeder, daß sein Irrglauben an „Alles Gute kommt von oben“ so unerschütterlich ist wie die kirchliche Hierarchie. Also: Applaus, Applaus.

Überall auf den Straßen und in den Reden ist die große Freude über das Anwachsen der gläubigen Herde durch das Hinzukommen von Osterlämmern zu vernehmen. „Gott sei Dank, daß wir hier sein können“, begeistert sich ein Jenaer Christ. Ob der Herr wirklich seine Finger im Spiel hatte, sei dahingestellt. Der Mann aber läuft höchste Gefahr, nun nach dem Einbruch der kommunistischen Wahnidee dem nächsten Glaubensdesaster entgegenzudämmern.

Dazu kommt, daß bei aller christlichen Nächstenliebe die Kirche West wohl eher durch das zukünftige Kassengeklimper der bald Kirchensteuer abtretenden riesigen Ostherde derartig in Verzückung geraten ist.

Die Wege des Herrn sind unergründlich und vielfältig. An einem Buchstand verkaufen einige Randerscheinungen Schriftwerke, die sich mit eher unbeliebten Themen der reinen Lehre auseinandersetzen. Der Herr ist auch hier der Retter aus der Not, aber eben aus einer alltäglichen. „Biggi - Eine von der Reeperbahn“ oder „Die Olli-Story - Ein Rocker kehrt um“ sind „authentische Beweise“ für die Kraft und die Herrlichkeit des gekreuzigten Bartträgers. Die Flucht in den Glauben als Betäubungsmittel des eigenen Durchsetzungsvermögens.

Da der verfasssungsmäßige Grundsatz „gleiches Recht für alle“ auf den Straßen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und den Grünanlagen dieser Stadt durch den Einfall der Bekehrten unbotmäßig eingeschränkt wird, wird für das nächste Großtreffen der Katholen die Einhaltung folgenden Gebotes dringend empfohlen: „Du sollst deinem Nächsten in einer anderen Stadt nicht auf den Keks gehen.“

Torsten Preuß