„Ich möchte hierbleiben - und dort“

■ Eine Frau steht zwischen den Fronten im Konflikt zwischen zwei jüdischen Gemeinden in Ost und West / Shoshana Lapidoth darf bei der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel in Ost-Berlin nicht länger Hebräisch unterrichten / Die Nebentätigkeit wurde ihr von der Jüdischen Gemeinde West entzogen

Mitte. 35 Schüler hofften am Mittwoch abend vergebens auf ihre Lehrerin. Sie alle wollten mit ihr in den Räumen der zweiten jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, Adass Jisroel, Hebräisch lernen und konnten es nicht. Die Kursteilnehmer wurden schon nach der zweiten Stunde Opfer eines Streites, von dem sie nichts wußten.

Verhindert wurde der Unterricht durch die Jüdische Gemeinde West-Berlin, und möglich war dies, weil die Kursleiterin Shoshana Lapidoth im Hauptberuf festangestellte und unkündbare Dozentin der Jüdischen Volkshochschule ist. Die beabsichtigte Nebentätigkeit bei Adass Jisroel wurde Frau Lapidoth am 15. Mai verboten, eine „Nichtbeachtung“, so steht es in dem Schreiben der Jüdischen Gemeinde, würde „arbeitsvertragliche Konsequenzen“ nach sich ziehen. So weit, so schlecht und formal unangreifbar, denn Nebentätigkeiten müssen in allen dem Öffentlichen Dienst angeglichenen Arbeitsverträgen beantragt und genehmigt werden. Aber die Angelegenheit ist nicht so glatt, wie sie sich liest, ist kein bloßer bürokratischer Akt oder eine normale Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer.

Der Haken ist, daß das Nebentätigkeitsverbot kein generelles ist, Frau Lapidoth überall Kurse geben dürfte, bloß eben nicht bei der orthodoxen Adass Jisroel. Der Grund des Verbotes ist: Die von Heinz Galinsiki geführte reformierte Jüdische Gemeinde West spricht der in der DDR offiziell anerkannten Gemeinde jegliche Existenzberechtigung ab (die taz berichtete), reklamiert für sich das Recht - und das seit 42 Jahren mit Erfolg - die jüdischen Interessen in Berlin alleine zu vertreten. Vorstandsmitglied J. Rabau teilte Frau Lapidoth klipp und klar mit, Adass stehe „contra zur Gemeinde“, ist also Rivalin. Würde also die Jüdische Gemeinde West Frau Lapidoth erlauben, Hebräischkurse bei Adass Jisroel zu geben, würde sie indirekt, quasi durch die Hintertür, die bekämpfte Gemeinde unterstützen. Und das geht nicht, schon gar nicht in einer Situation, in der Adass Jisroel gegen den Westberliner Senat auf Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ klagt und diese Anerkennung ihr bisher mit der Begründung verweigert wurde, die Gemeinde wäre keine Gemeinde, denn öffentliche Aktivitäten und ein Gemeindeleben finden nicht statt.

Das Nebentätigkeitsverbot für Frau Lapidoth hat aber nicht nur eine politische Dimension, sondern dahinter steht noch ein menschliches Problem, und das macht den Streit bizarr. Frau Lapidoth ist in der Jüdischen Gemeinde eine sehr bekannte Frau, sie hat vor 31 Jahren die Hebräischkurse in der Jüdischen Volkshochschule initiiert und seitdem fast zwei Schülergenerationen die Grundkenntnisse in Sprache, Literatur und Bibelkunde vermittelt. Nie hat sie innerhalb der Gemeinde die Opposition, die „Demokratische Liste“ unterstützt, bei allen Vorstandswahlen Heinz Galiniski gewählt. „Man spuckt nicht in den Brunnen, von dem man getrunken hat“, umschreibt sie die ungebrochene Loyalität. Den über ihren Kopf entstandenen Konflikt bedauert sie, das Arbeitsverhältnis will sie nicht gefährden, denn sie liebt die hebräische Sprache und die Arbeit mit den Schülern fast so, „wie ein Mann eine Frau liebt“.

Aber, und das ist ihr ganz persönlicher Konflikt, ihre Vorfahren väterlicherseits sind Adassianer, Gründungsmitglieder der alten, 1869 in Berlin zugelassenen Gemeinde. Die Gräber ihrer Vorfahren liegen auf dem alten Friedhof von Adass Jisroel in Ost-Berlin, und ihr erster Weg, nachdem sie 1959 aus Israel fortzog und in Berlin eine neue Heimat suchte, führte sie auf diesen Friedhof. Die Instandsetzung der Gräber nach jahrzehntelanger Verwahrlosung hat sie tief berührt. Ohne das Engagement Mario Offenbergs, des heutigen Geschäftsführers von Adass Jisroel, wäre der Friedhof Mitte der achziger Jahre eingeebnet worden, meint sie. Und ohne Offenbergs historische Forschungen die Geschichte der traditionsreichen Gemeinde vergessen, die Anerkennung im Ostteil der Stadt nie erfolgt.

So gibt es viele alte und neue Fäden zu Adass Jisroel, und obwohl Shoshana Lapidoth sich „nie sich einer orthodoxen“ Gemeinde anschließen würde“, hängt sie doch an der Familientradition und will sie bewahren und pflegen. „Mit ganzem Herzen“ möchte sie „die Kulturarbeit unterstützen“, aber daß dieses „unvereinbar“ mit einer Tätigkeit bei der Jüdischen Gemeinde West sein soll, will sie nicht akzeptieren. So ist Frau Lapidoth jetzt hin- und hergezogen zwischen der ehrlichen Loyalität zu ihrem Westberliner Arbeitgeber und dem „starken Sentiment gegenüber ihren Adass -Jisroel-Vorfahren“. „Ich möchte verbleiben“, sagt sie mit rauher Stimme, „hier wie dort, aber wie“.

aku