Aufdringlich plakativ

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(Blinde Passagiere, Di., 22.5., ZDF, 22.40 Uhr) Fluchtperspektiven, wohin man schaut. Im Zug, im Bahnhof, auf der Brücke. Denn Thema dieses Debütfilms von Sandor Söth ist: Flucht. Flucht zweier junger Abiturienten und eines Mädchens, die aus Ungarn wegwollen, nach Polen, das Abenteuer suchen. In Polen aber herrscht Ausnahmezustand, es ist das Jahr 1982, und so endet das Abenteuer für die beiden Jungen im Gefängnis, das Mädchen schließt sich dem Widerstand in Polen an.

Es ist eine „wahre Begebenheit“, wie uns der Abspann mitteilt, und aus dieser Geschichte wollte der Regisseur ein filmisches Kunstwerk machen. Ganz unbedingt, wie man schon an den ersten Einstellungen erkennen, besser gesagt: nicht erkennen kann. Hauptsächlich ist es nämlich dunkel. Das ist schon mal sehr künstlerisch. Man sieht die Gesichter und Personen fast nie im Licht, nur immer umrißhaft, schwarz, mal Backe, mal Nase ausgeleuchtet. Es ist nicht die legendäre Dunkelheit von Faßbinders Berlin Alexanderplatz - es ist eine Art exhibitionistischer Dunkelheit, ein prätentiöser Kunstgriff, der angestrengt verhüllt, wie wenig der Regisseur zu erzählen weiß. Es scheint, als wäre er verliebt in seine Bilder, die er nach allen Regeln der Filmkunstschule in Szene setzt, verliebt wohl auch in das Geigensägen, mit dem die Geschichte einen weiteren schrägen Kick erhalten soll. Doch die Figuren, um die herum dieser Ästhetizismus gewoben wird, wirken die meiste Zeit recht lächerlich. Sie dürfen nur Expressives von sich geben: Geschrei, Geprügel, lautes Weinen. Und wenn sie vielsagend suggerieren müssen: In meinem Inneren spielt sich alles ab, dann ist auch das nur aufdringlich plakativ.

Flugblätter nach einer Demonstration in Warschau sind wie ein geometrisches Kunstwerk auf der Straße angeordnet, wirken wie angeklebt, damit sie auch genau so liegenbleiben. Und wenn einer der Jungen im Gefängnis zum Geschirrspülen gezwungen wird, fliegen die Blechteller der Mitgefangenen wie von Jongleuren geworfen auf ihn zu. Das Gitter im Besucherraum ist dem Regisseur willkommen als graphische Umrahmung für ein Schattenrißgesicht, und die schöne Moni darf sich spiegeln im blankgeputzten „Ambassada„-Schild. All diese Spielereien erschlagen die Geschichte der beiden Abenteurer, die ja schon in der Wirklichkeit so traurig geendet sind. Nun hat sie auch noch dieser Film in seiner ambitionierten Ästhetik eingesperrt.

Sybille Simon-Zülch