Geschäfte mit Knalleffekt

■ Kontrolleure als Kumpane garantieren die tödlichen Exporte „Made in Germany“

Während die Europäer sich allmählich beim Entspannungstango finden, während die Supermächte ihre Vernichtungsarsenale stutzen, wird in den Krisenregionen der „Dritten Welt“, vor allem im Nahen Osten, mächtig mit dem Säbel gerasselt: Den Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen droht Iraks Diktator Saddam Hussein dem Erzfeind Israel für den Fall eines Angriffes an; die Hälfte des Judenstaates werde dabei mindestens ausgelöscht. Im neu entflammten Konflikt um Kaschmir zwischen Indien und Pakistan, in dem bereits scharf geschossen wird, will die Regierung Benazir Bhuttos notfalls ihre „nuklearen Optionen überprüfen“. Sollte sich dereinst über einem dieser Konfliktherde das politische Wetterleuchten in Atomblitze und Giftgaswolken entladen, dann wird ein beträchtlicher Teil der zum Einsatz gebrachten Todestechnologie das Markenzeichen „made in germany“ tragen.

Natürlich ist es nichts Neues, daß deutsche Firmen und Geschäftemacher auf dem weltweiten Schwarzmarkt für militärischen High-Tech-Bedarf in vorderster Front mitmischen. Schließlich haben wir die letzten Jahre Zeitung gelesen. Ob Nukleartechnik für Pakistan und Indien, Giftgas -Chemikalien für den Iran, gleich ein ganze dubiose Chemiefabrik für Libyen oder Raketen-Know-how für den Irak die Schlagzeilen wetteifern seit Jahren. Doch das ganze Ausmaß, die Konsequenz und Systematik (der Jurist würde sagen: die enorme kriminelle Energie) mit der deutsche Technologiesöldner und beamtete Ignoranten über die Jahre just jenen Diktaturen zur Hand gingen, die nach Atomraketen oder Giftgasgranaten gieren, läßt ein soeben erschienenes Buch erahnen: Bomben-Geschäfte - Tödliche Waffen für die Dritte Welt.

Zusammengestellt hat die skandalöse Bilanz ein kompetentes Autorenduo: Dr. Holger Koppe, gelernter Jurist, bekam als wissenschaftlicher Mitarbeiter der SPD-Fraktion im Atomuntersuchungsausschuß intimen Einblick in die Kulissen legaler wie illegaler bundesdeutscher Atomexportpraxis. Der Journalist Egmont R. Koch hat sich bereits mit mehreren investigativen TV-Filmen, Reportagen und Büchern über die Internationale der Schieber und Schummler einen Namen gemacht.

Das Buch provoziert zunächst die Frage: Was ist eigentlich ein Skandal? Das erste Kapitel setzt nämlich ein in jenen denkwürdigen Januartagen 1988, als auf dem Höhepunkt der Affäre um die Hanauer Atomklitschen Nukem und Transnuklear der hessische CDU-Ministerpräsident Wallmann den Verdacht ausposaunte, bombentaugliches Spaltmaterial sei womöglich aus Atomanlagen der Bundesrepublik abgezweigt und nach Pakistan oder Libyen verschoben worden. Wie elektrisiert hielt die Republik den Atem an.

Zwar fand der Untersuchungsausschuß des Bundestages in über zweijähriger Arbeit heraus, daß deutsche Firmen über Jahre hinweg ganze Anlagen und wichtige Komponenten für die Hochanreicherung von Uran sowie für die Herstellung von Plutonium und Tritium beispielsweise nach Pakistan verscherbelt, den dortigen Atomikern mithin zur Serienproduktion des Bombenstoffes verholfen hatten. Doch der „schreckliche Verdacht“, so seinerzeit Bundesatomminister Töpfer, es könnten ein paar Kilogrämmchen Plutonium außer Landes geschmuggelt worden sein, wurde gottlob - in Bonn wurde es erleichtert getrommelt und gepfiffen - bislang nicht erhärtet. Es durfte aufgeatmet werden. Dieses Kilogrammsyndrom, die kurzatmige Fixiertheit der Medien auf die „Abzweigungsstory“ verstellt bis heute den Blick auf die wahre Dimension des Atomskandals wie überhaupt auf die Problematik atomarer Proliferation (im Nachrichtenmagazin 'Spiegel‘ bespielsweise taucht das Schreckwort Plutonium fast nur noch in Kombination mit irgendwelchen Milchbubirechnungen auf, wieviele A-Bomben das nun wieder gäbe - selbst wenn es sich offensichtlich um waffentechnisch unbrauchbares Plutoniumoxid handelt).

Die Autoren schlüsseln die „Bombengeschäfte“ folgerichtig nach drei Bereichen auf: Atomwaffen, chemische Waffen - oft bezeichnet als „die Atombomben des armen Mannes“ - und Raketentechnologie, also den Trägersystemen für die tödlichen Frachten. Ob sensible Atomkomponenten für Pakistan oder riskante Chemieanlagen für Libyen, ob Raketen-Know-how für Argentinien oder gleich alle drei Artikel für den Irak die Autoren folgen den Spuren der weitverzweigten Netzwerke aus Tarn- und Briefkastenfirmen durch die Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Monaco und Großbritannien und landen am Ende meist vor den Firmentoren oft namhafter deutscher Konzerne.

Bei einigen der im Buch detailliert aufgedröselten Schiebereien handelt es sich keineswegs um Geschäfte einzelner schwarzer Schafe, wie die Bonner Verantwortlichen der Öffentlichkeit jeweils weiszumachen versuchten, sondern vielmehr um die logische Fortsetzung bundesdeutscher Exportpolitik. Das letzte - etwas kurz geratene - Kapitel beleuchtet diese politische Dimension der zahllosen Exportskandale unter dem sinnigen Titel „Kontrolleure oder Kumpane“ (ohne Fragezeichen). Es wäre wert, einmal von Wahrnehmungspsychologen oder Psychiatern die Verbissenheit und Konsequenz analysieren zu lassen, mit der Bonner Beamte und Politiker jeweils die Augen zukniffen, wenn verbündete Geheimdienste oder Diplomaten zum dutzendsten Mal mit eindeutigen Hinweisen auf fragwürdige Transfers deutscher Firmen und Geschäftsleute auf der Matte standen. Mancher Schieber wurde von den zuständigen Exportkontrolleuren eher beraten denn kontrolliert. Das Buch präsentiert eindrückliche Beispiele. Oft schlüpften die Schieber durch schwammige Paragraphen oder Gesetzeslücken. Doch die wurden entgegen vollmundiger Beteuerungen in den Monaten nach der Rabta-Affäre bis heute nicht geschlossen. Die angekündigten neuen Paragraphen schimmeln in Bonner Schubladen.

Der Fakten- und Quellenreichtum des Buches wirkt streckenweise fast erschlagend. Ein Register am Ende des Buches hätte da angesichts der Fülle von Namen, Firmen und Politikerzitaten nicht geschadet. Trotzdem erhält schon die politische Brisanz der oft thrillerreifen Materie die Spannung. Mit „Bombengeschäfte“ haben die Autoren das derzeit umfangreichste und am besten dokumentierte Nachschlagewerk über die deutschen Exportskandale im Bereich der Atom-, Chemiewaffen- und Raketentechnologie vorgelegt. Es sollte, in diesen Wochen ausgeliefert, frisch gelesen sein. Wäre doch sehr erstaunlich, würden nicht bald Ergänzungen fällig.

Thomas Scheuer

Holger Koppe/Egmont R. Koch, Bomben-Geschäfte - tödliche Waffen für die Dritte Welt, 400 Seiten, Paperback, 34DM, Verlag Knesebeck & Schuler, München.