West-Grüne auf Samtpfötchen in Ost-Berlin

Bonner Bundesvorstand streckte die Fühler nach möglichen Bündnissen bei gesamtdeutschen Wahlen aus  ■  Aus Berlin Beate Seel

„Die Grünen werden viel Frust mitnehmen, aber es ist nötig“. Mit diesen Worten kommentierte Jens Reich vom Neuen Forum eine Gesprächsrunde zwischen Mitgliedern des Bonner Bundesvorstandes der Partei, der Westberliner AL, dem Bündnis 90 sowie Abgesandten des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) und der Vereinigten Linken (VL) am Dienstag nachmittag im „Haus der Demokratie“. Der zweitägige grüne Sondierungstrip in die Hauptstadt diente vorsichtigen Erkundigungen über mögliche Bündnisse für gesamtdeutsche Wahlen.

Angesichts der Kräfteverhältnisse hing das Damoklesschwert der Fünfprozenthürde über den Gesprächsrunden. Während die bundesdeutschen Alt-Parteien längst ihre Juniorpartner in der DDR gefunden haben, gucken die Grünen bislang noch in die Röhre. Und aus dem Boden stampfen, das zeigte sich diese Woche, läßt sich eine Zusammenarbeit im grün-links -bürgerbewegten Spektrum gerade dann nicht, wenn es nicht um Bonner Diktate, sondern um eine gleichberechtigte Kooperation gehen soll. Doch die Zeit drängt. Für den Realo Ralf Fücks vom Bundesvorstand der Öko-Partei stehen sich zwei entgegengesetzte Optionen im grün-oppositionellen Spektrum gegenüber: die einer linken Sammlungsbewegung mit grünem Flügel und die eines gesellschaftlichen Projekts, das die Achsen Ökologie, Demokratie und Bürgerrechte miteinander verbindet - mithin eine Weichenstellung von einiger Tragweite.

Die vehementesten Verfechter eines gesamtdeutschen Wahlbündnisses mit dem erklärten Ziel, auf jeden Fall die Fünfprozenthürde zu überspringen, sind offenbar in den Reihen derer zu finden, die die ganze Debatte eigentlich nur sehr am Rande tangiert: in der Grünen Liga. Ihr Geschäftsführer Peter Markgraf, der bei den grün-grünen -Parteigesprächen zugegen war, verwies gegenüber der taz auf die unterschiedlichen Formen grüner Arbeit, die in der DDR quasi arbeitsteilig zwischen Partei und Bewegung angesiedelt ist, und forderte ein klares Bekenntnis der Bonner Grünen zur parlamentarischen Arbeit. Im europäischen Rahmen sei es untragbar, wenn angesichts der anstehenden ökologischen Probleme just aus einem Gesamtdeutschland das Signal käme, die Grünen seien nicht im Parlament vertreten. In der Grünen Partei selbst wurden erste Gespräche am Montag ungeachtet früherer Unstimmigkeiten als positiv eingeschätzt. Man wolle sich aber nicht plötzlich unter Druck setzen.

Und was den Druck angeht: „Sie (die Grünen) kommen jetzt auf Samtpfoten und sind sehr verständnisvoll, wie gegenüber einem trotzigen Kind, das überredet werden soll, mit zu einer Veranstaltung zu gehen,“ faßte Jens Reich seine Eindrücke zusammen. Für das Neue Forum, die größte Einzelorganisation im Bündnis 90, ist das Problem anders gelagert als bei der Grünen Partei, die wegen ihres Namens über eine „natürliche“ Schwesterorganisation verfügt. Hier geht es auch um die Identität einer Bürgerbewegung. Die meisten ihrer Mitglieder sind landauf, landab vorwiegend im kommunalen Bereich engagiert. Da bietet sich laut Reich eine Organisierung auf der Ebene der künftigen Länder eher an. Zudem: „Bei uns gibt es eine starke Tendenz, das Neue Forum zu bleiben. Wir hatten schon genug Mühe, das Bündnis 90 zustande zu bringen und haben uns dabei verdünnt. So nötig es ist, vereint aufzutreten, so schwierig ist es, zu fusionieren und fusionieren und fusionieren und sich dabei immer weiter zu verdünnen.“

Während es für die Bürgerbewegungen um ihre spezifische Struktur und Arbeitsweise geht, stehen bei der Vereinigten Linken politische Fragen im Vordergrund, Fragen, die auch der bundesdeutschen Debatte im grün-oppositionellen Spektrum nicht fremd sind. So hat die VL bislang in der Frage der Wahlbeteiligung in Gesamtdeutschland keine geschlossene Position. Man kann sich auch die Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung und außerparlamentarischen Öko-Gruppen vorstellen. Auf einem Arbeitstreffen Mitte Juni in Dresden sollen die weiteren Perspektiven erst einmal diskutiert werden. Für Herbert Mißlitz von der Berliner VL jedoch kein Grund, nur das Trennende zu sehen: Die gemeinsame Ablehnung des Staatsvertrages habe die Oppositionsgruppen in der DDR näher zusammengerückt, und hier sei man sich auch mit den Bonnern einig.

Ein Zusammenrücken der DDR-Opposition erhoffen sich auch viele in den Reihen des Unabhängigen Frauenverbandes, der zu ihren „informellen Gesprächen“ mit dem Bundesvorstand zunächst nicht Stellung nehmen wollte.

Für Ralf Fücks und seine MitstreiterInnen, die einer möglichen Zersplitterung der oppositionellen Kräfte bei gesamtdeutschen Wahlen und damit dem Verlust an politischem und gesellschaftlichem Einfluß vorbeugen wollen, scheint die Krux beim Bündnis 90 zu liegen. Konkrete Fragen einer gemeinsamen Kandidatur, etwa auf dem Ticket der Grünen, wurden am Dienstag nicht diskutiert. Die Zeit drängt, doch gefragt ist Geduld.