Quittung für politische Konturlosigkeit

■ Der neugewählte Vorsitzende erhielt bei seiner Wahl nur 63 Prozent der Delegiertenstimmen Meyers Grundsatzrede enthielt auf 70 Manuskriptseiten kaum eine präzise politische Aussage

„Ich kann diese Fragen nicht mit wenigen Worten beantworten“, wies der noch nicht gewählte DGB-Vorsitzende Heinz-Werner Meyer den HBV-Delegierten Kröger aus Bremen zurecht. Der hatte sich erdreistet, den Kandidaten Meyer vor der Wahl zu fragen, welche neuen politischen Akzente er denn nun an der Spitze des DGB setzen wolle. Was ist mit der so dringend notwendigen neuen Politik für die modernen Angestelltengruppen, die bislang kaum ihren Weg in die Gewerkschaften gefunden haben? Was ist mit jenen Konflikten zwischen den Einzelgewerkschaften um einzelne Organisationsbereiche, zum Beispiel den zwischen der IG Bergbau und Energie (IGBE) und der ÖTV heftig umkämpften Energiebereich, der in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der deutsch-deutschen Vereinigung der Gewerkschaften in neuer Heftigkeit entbrannt ist?

Zu all dem hatte der Kandidat in seiner Vorstellungsrede nicht ein einziges Wort gesagt. Und er wies das Begehren des HBV-Kollegen, wenigstens in kurzen Stichpunkten ein paar seiner politischen Vorstellungen anzudeuten, brüsk zurück. Lorenz Schwegler, Vorsitzender der HBV, schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Es waren ihm doch goldene Brücken gebaut worden.“ IGM-Chef Steinkühler entnervt: „So kann man es doch nicht machen.“ Er machte es und erhielt die Quittung mit dem zweitschlechtesten Ergebnis, das je ein DGB -Vorsitzender bei seiner Wahl erhalten hat: Nur 63 Prozent gaben ihm ihre „Jastimme“, die meisten nur deshalb, weil es keine Alternative gab. Aber Kandidat Meyer hatte schon vor der Wahl angekündigt, ihm würden schon 51 Prozent genügen.

Die positive Überraschung der DGB-Vorstandswahl war die CDU -Kandidatin Regina Görner, die nach einer glänzenden Vorstellung mit einem Ergebnis belohnt wurde (398 von 521 abgegebenen Stimmen), das weit über dem ihres prominenten CDU-Kollegen Ulf Fink lag. Der ehemalige Sozialsenator Berlins und jetzige Vorsitzende der christlich -demokratischen Sozialausschüsse (CDA) kam auf 300 Stimmen, nachdem er von einer Berliner Delegierten heftig wegen seiner Politik des Bettenabbaus in den städtischen Krankenhäusern angegriffen worden war.

Fink ist nun Stellvertretender DGB-Vorsitzender, und es ist zu erwarten, daß er zusammen mit der anderen Stellvertretenden, Ursula Engelen-Kefer (SPD) zu den auffälligen Gestalten im neugewählten DGB-Vorstand gehören wird. Vom Vorsitzenden Meyer erwarten die meisten der in Hamburg versammelten Spitzenfunktionäre dies nicht: Seine Grundsatzrede im Anschluß an die Wahl enthielt kaum eine präzise Aussage - immerhin auch eine Leistung bei mehr als 70 Manuskriptseiten.

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