: Zentralisierung über DDR-Umweg?
■ Gewerkschaft HBV will beim Vereinigungsprozeß die eigenen Strukturen reformieren
„Wir versuchen natürlich, beim Aufbau der DDR-HBV ein paar Sachen in Ordnung zu bringen, die wir auch hier bei uns verändern müssen.“ Der Sprecher der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Claus Eilrich, findet selbstverständlich, daß man nun die Gelegenheit nutzen müsse, einmal erkannte Fehler der West-HBV beim Aufbau der DDR-HBV zu korrigieren. Schon seit einiger Zeit sei man zu der Erkenntnis gekommen, eine Strukturreform der Gewerkschaft (West) sei dringend nötig.
Wohin die deutsch-deutsche Reise bei HBV gehen soll, wird bei einem Blick in den Satzungsentwurf deutlich, den HBV (West) und DDR-Gewerkschafter für eine neu zu gründende HBV (Ost) ausgearbeitet haben: in Richtung Zentralisierung. Wenn dieser Satzungsentwurf Vorbild für eine zukünftige gesamtdeutsche HBV-Satzung wird, dann werden die föderalen, regionalen Gewerkschaftsgliederungen geschwächt, während der geschäftsführende Hauptvorstand und der zentrale Apparat mit größeren Kompetenzen ausgestattet werden als bisher. Dies läßt sich an mehreren Beispielen belegen:
Zentralisierung der Finanzen: Laut Satzungsentwurf HBV/DDR „plant und leitet“ der geschäftsführende Hauptvorstand den Einsatz der Gelder, und er stellt „die materiellen und finanziellen Mittel für die Arbeit der regionalen und fachlichen Gliederungen“ der Gewerkschaft bereit. Bisher behalten die örtlichen HBV-Gliederungen laut Satzung 25 Prozent des Beitragseinkommens für ihre Arbeit, in Zukunft wird es ihnen dagegen von oben zugeteilt.
Schwächung der Landesbezirke: Nach dem Satzungsentwurf für die zukünftige DDR-HBV soll es einen ehrenamtlichen Landesvorsitzenden geben, der vom entsprechenden Delegiertengremium auf Landesebene gewählt werden soll. Neben diesem ehrenamtlichen Vorsitzenden soll es aber einen hauptamtlichen Landesgeschäftsführer geben, der vom Hauptvorstand eingestellt wird und diesem politisch und arbeitsrechtlich verantwortlich ist. Die geltende HBV -Satzung (West) kennt dagegen nur einen von seiner Basis gewählten Landesbezirksvorsitzenden, der dann vom Hauptvorstand zum hauptamtlichen Landesbezirksleiter ernannt wurde. Durch diese Doppelfunktion hatten die Landesbezirke gegenüber der Zentrale einen relativen politischen Bewegungsspielraum.
Auch das Kernstück gewerkschaftlicher Politik, die Tarifpolitik, soll in Zukunft stärker an der Spitze zentralisiert werden. Während es in einigen Bereichen bisher noch eine relative Eigenständigkeit der Bezirke gab, solle die „Gesamtverantwortung“ laut Satzungsentwurf beim Hauptvorstand liegen, der sogar den Verhandlungsführer wählt.
Personalpolitik: Während laut geltender HBV-Satzung der Geschäftsführende Hauptvorstand keine Personalentscheidung in den Landesbezirken und Ortsvereinen ohne deren Zustimmung treffen kann, liegen laut Paragraph 17 des Satzungsentwurfs HBV (Ost) alle Personalkompetenzen (Abschluß von Arbeitsverträgen, „Einstellung, Versetzung oder Entlassung von Sekretären der Bezirke oder Landesbezirke“) allein beim Geschäftsführenden Hauptvorstand.
Diese Zentralisierung der gewerkschaftlichen Strukturen, sollte sie sich in der gesamtdeutschen HBV durchsetzen, widerspricht nach Ansicht regionaler HBV-Funktionäre der in Zukunft noch dringlicheren Notwendigkeit, regionale Besonderheiten zum Beispiel in der Tarifpolitik zu beachten. Und sie verkehrt die Chance, im deutsch-deutschen Einigungsprozeß zu demokratischeren, basisnäheren gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen zu kommen, in ihr Gegenteil.
Martin Kempe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen