Affäre Diestel offenbart Parteikrise

■ Forderung der DSU-Fraktion der Ostberliner Volkskammer nach Rücktritt des Innenministers zeigt Spaltung in der CSU-Schwesterpartei / Diestel trotzt aller Kritik und bleibt im Amt / De Maiziere steht hinter dem Minister

Berlin (taz/ap) - DDR-Innenminister Diestel (DSU) denkt trotz massiver Rücktrittsforderungen seiner eigenen Parteifreunde nicht daran, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Die DSU-Fraktion in der Volkskammer hatte ihm wegen seiner laschen Haltung bei der Auflösung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit das Vertrauen entzogen. Diestel wird von Ministerpräsident Lothar de Maiziere (CDU) und dem gesamten Kabinett unterstützt. Zu Diestel stehen auch die Gewerkschaft der Volkspolizei und die Mitarbeiter seines Ministeriums.

Unbeeindruckt zeigt Diestel sich auch von der Kritik aus dem Westen. Auch die CSU in Bayern hat dem Minister ihrer Schwesterpartei ins Gewissen geredet und ihn aufgefordert, seine Politik besser darzustellen. Der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Lindtner, forderte ebenfalls am letzten Wochenende seinen Rücktritt.

Innerhalb der DSU geht der Streit weiter. Der Vorstand stünde hinter dem Innenminister, hat ein Sprecher am Dienstag abend erklärt. Inzwischen hat der Fraktionssprecher wegen der Rücktrittsforderung der Fraktion sein Amt zur Verfügung gestellt.

Der DSU-Streit zwischen Vorstand und Fraktion um die Stasi ist aber im Grunde ein innerparteilicher Machtstreit. Die DSU, im Januar von CSU-Chef Waigel aus einem Dutzend Splittergrüppchen aus Sachsen und Thüringen zusammengeschweißt, ist nie wirklich zusammengewachsen. Das Kalkül von Waigel, die CSU über dem Umweg DDR bundesweit auszudehnen, ist kläglich gescheitert. Bei den Kommunalwahlen erhielt die DSU im Landesdurchschnitt nur noch knapp über drei Prozent der Wählerstimmen. Der Versuch, Profil zu gewinnen, weswegen die DSU ohne das Allianz -Bündnis der Volkskammerwahlen angetreten ist, schlug fehl. Wer jetzt noch was werden will, muß raus aus der Partei. Der erste prominente Überläufer ist der ehrgeizige Leipziger Pfarrer Wilhelm Ebeling. Er weiß genau, daß er nach einer Gesamtdeutschen Wahl nicht nur seinen Posten als Entwicklungshilfeminister verliert, sondern mit der DSU auch über die 5-Prozent-Hürde stolpern könnte.

Unterdessen forderten auch die Bürgerkomitees zur Stasi -Auflösung Diestel zum Rücktritt auf. Der Minister habe unberechtigt Stasi-Akten eingesehen, kritisierte David Gill, Koordinator der Berliner Komitees. Ihm sei zuverlässig bekannt, daß es sich bei den eingesehenen Akten um die von „lebenden Personen“ gehandelt habe, sagte er. Diestel hatte erklärt, nur die Akten Verstorbener studiert zu haben, um sich ein Bild von der Stasi-Struktur zu machen. „Diestel hat nicht die sittliche Reife, Innenminister zu sein“, urteilte Matthias Büchner vom Erfurter Komitee. Die Verfügungsgewalt über die Akten der Stasi solle aus dem Innenministerium ausgelagert und regierungsunabhängig kontrolliert werden, forderte Thomas Schmidt, der Koordinator der Komitees.

Kritik an Diestel kam in den letzten Tagen auch von Mitgliedern der SPD-Fraktion in der Volkskammer. Sie kritisierten die Beschäftigung Tausender ehemaliger hauptamtlicher Stasi-Angehöriger im Innenministerium. Die Fraktion werde umgehend prüfen, ob Diestel „willens und überhaupt noch in der Lage ist, verfassungsfeindliche Aktivitäten der Stasi und des SED-Apparates aufzuklären“.

bf