Wie das Sandkorn im Getriebe

■ Das Neue Forum ist beunruhigt über die Energiezukunft der DDR / Auf ihrer zweiten Tagung „Energie 2000“ in der Berliner Charite verbannt es nach wie vor den Atomstrom / DDR hat die Chance, sich technologisch und energiewirtschaftlich auf internationalem Niveau zu profilieren

Berlin (taz) - Sebastian Pflugbeil, Ex-Minister im Modrowschen Kabinett, ist beunruhigt. Die Zukunft der DDR -Energiewirtschaft scheint sich in diesen Tagen zu entscheiden. Aber nicht DDR-Energieplaner geben den Ton an, sondern westdeutsche Energiekonzerne. Seit gestern verhandeln sie mit entsprechenden DDR-Institutionen nach dem Motto: „Wählt die DDR eine Struktur, die unseren Vorstellungen nicht entspricht“, so Manager Gieske, Chef beim Essener Energieriesen RWE AG, „muß man auch nein sagen können“.

Das Neue Forum hat seine zweite Energietagung bewußt in diese entscheidungsträchtige Zeit gelegt. Bisher gibt es in der DDR noch kein fertig ausgearbeitetes Energiekonzept, über das in der Öffentlichkeit diskutiert werden kann. Deshalb haben die Initiatoren der Tagung, Sebastian Pflugbeil und Joachim Listing es noch nicht aufgegeben, an einem eigenen Energiekonzept für die DDR mitzuschreiben. Sie wollen weiter „Sand ins (Atom-) Getriebe streuen“.

Daß die DDR zum größten Umweltverschmutzer der Welt zählt, weiß inzwischen jedes Kind. Aber daß sie nach wie vor zwei Atomkraftwerke mit hohem Risiko betreibt, scheint noch immer nicht in alle Köpfe gedrungen zu sein. Gerade deshalb brauche die DDR ein Energiekonzept ohne Atomstrom, so Listing, das überall im Land diskutiert werden müsse.

Auf die Frage, woher die Energie dann kommen soll, nennt Listing einen für ihn möglichen gangbaren Weg. Zuerst dürfe der Primärenergieverbrauch nicht länger anwachsen und die Energieversorgung müsse endlich auch in der DDR als kommunale Dienstleistung verstanden werden. Dabei werde das Energiesparen eine wichtige Rolle einnehmen.

Wie grenzenlos die Möglichkeiten kommunaler Energiepolitik sein könnten, zeigte den leider recht dürftig erschienenen Zuhörern, Willy Leonhard aus der Vorzeige-Kommune Saarbrücken. Aber Leonhard weist auch daraufhin, daß viel Geld nötig sei, um eigenen Strom zu erzeugen. Doch der Strom von den Energieversorgungsunternehmen koste genausoviel Geld. Ums viele Geld ging es auch im Vortrag von Lutz Mez aus Westberlin. Er zeigte die Möglichkeiten einer ökologischen Modernisierung der DDR-Energiewirtschaft auf. Wenn die DDR ihre Braunkohlekraftwerke mit Rauchgasreinigungsanlagen nachrüste, koste sie das bei einer Kapazität von 12.500 Megawatt etwa 9,6 Milliarden DM. Die Gesamt-Investitionslast für die DDR, um gänzlich ohne Atomstrom auszukommen, bezifferte Mez auf 35 Milliarden DM. Die DDR habe aber trotz der großen Krise die Chance, sich technologisch und energiewirtschaftlich zu profilieren - auf international einmaligem Niveau.

Bärbel Petersen