: Opernblues statt Gefühlstrara
■ Zur heutigen Premiere am Bremer Theater von „Fünf Einaktern aus den Zwanzigern“
Schwer noch lasten auf dem Gemüt des Opernfreundes die beiden letzten Produktionen des Bremer Musiktheaters. Der stockreaktionäre „Palestrina“, ein bedeutungsschwanger aufgeplustertes Gesamtkunstwerk und die postmoderne Rekonstruktion der„Großen Oper“ mit Ferreros „Charlotte Corday“ wollen erst einmal verdaut werden. Dramatischer Kontrast war zwingend erforderlich, um das Völlegefühl im Magen loszuwerden.
Die Direktion des Hauses hatte ein Einsehen. Nach fünf Stunden für eine Oper (Palestrina) gibt es nun fünf Opern in einer Stunde (so ein Bonmot des Kapellmeisters Beaumont). Am heutigen Samstag Abend hat die Produktion „Fünf Einakter aus den Zwanzigern“ Premiere. Elmar Gehlen, Regie und Bühnenbild, und Tony Beaumont, unser Spezialist fürs frühe 20.Jahrhundert, präsentieren ein Remake, oder doch zumindest beinahe, eines einst im Jahre 1927 von Paul Hindemith organisierten Abends mit Kammeropern im, der zeitgenössischen Musik offenen, Baden-Baden. Neben einem „Sketch für Musik“ des damals noch jungmeisterlichen Radikalen, gab es eine sensationell kurze opera minute in 8 Szenen von Darius Milhaud, Ernst Tochs (österreichischer Komponist, der wie manch anderer auch sein Leben im amerikanischen Exil beendete) eindrucksstarke Verarbeitung des Leidens der „Prinzessin auf der Erbse“ und Kurt Weills erste
Frucht der Zusammenarbeit mit Bert Brecht „Songspiel Mahagonny“. Weills, Hindemiths und Milhauds Beitrag bleiben uns erhalten, Tochs „Erbse“ wird durch sein „Kein Familiendrama“ von Christian Morgenstern ersetzt. Und damit wir auch
sehen, daß sich unserere Großväter nicht nur mit dem klassischen Kulturerbe speisten, zeigt man uns einen Einakter von Georg Gershwin - „Blue Monday“.
Naja, gut zwei Stunden Oper macht das insgesamt schon, aber immerhin nicht mehr als der erste
Palestrinaakt. Ein befreiendes Kontrastprogramm wird geboten: Viere von fünf Komponisten machen Schluß mit der großen Haupt-und Staatsaktion Oper. Raub Europas
in acht Minuten
Sie spielen mit Form und Inhalt des Musiktheaters, parodieren und persiflieren das zeitraubende Gefühlstrara, das die Emotionsreserven der Opernfreunde mobilisiert. Ernst Toch komponiert den gescheiterten Versuch einer Primadonna, ihren Ehemann in ein Duett zu verwickeln. Doch dieser Unmensch erwürgt mit Schweigen das sich anbahnende Musikdrama „in den Windeln“. Milhaud handelt den Mythos vom Raube der Europa in knapp 8 Minuten ab. Es ist der erste Teil einer Trilogie, die Wagners 15-Stun
den-Ring in den Schatten stellen könnte. Hindemith zeigt mit atemberaubender Kunstfertigkeit, daß sich Opernstoffe auch rückwärts abwickeln lassen können. Und Kurt Weill demonstriert, daß sich zeitgenössisches Musiktheater gleichzeitig mit den zentralen Konflikten der Gesellschaft und den ästhetischen der Operform sarkastisch beschäftigen kann - und daß sich gerade deswegen einstellt, was Oper ausmacht: der grandiose Augenblick. Und Gershwin? Ihm gelingt der Nachweis, daß der Blues die eigentliche Haupt -und Staatsaktion ist. Der Blues gehört in die Oper. Wohin eigentlich sonst? Mario Nitsch
All das spielt heute und für Juni am 4.,8.,15.,27. um jeweils 20 Uhr im Schauspielhaus.
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