„Deutsche Nachgeburt 89“

■ Walter Mossmann im „Kubo“ / Drei Stimmen und ein Klavier gegen Ein Volk

Weit wirft er sein Lot und tief, tief in die teutsche Volksseele, in die Nationalgeschichte, in die schummrigen Tiefen bündischen Deutschmännertums. Und in die Seelen seines Publikums? Nein, seine 50 Getreuen (mein Gott Walter!) am Vatertagsabend bleiben ungetroffen und lieben ihn doch: Walter Moßmann, deutscher Barde ungezählter Bewegungen von Burg Waldeck über Whyl und Brockdorf bis Gorleben, ist in Bremen und tritt auf mit seiner Schwester Grit und dem Pianisten Joschi Krüger.

Im Kubo beim Paulskloster, ein Klavier, eine Wäscheleine, daran sieben Fotokopien aufgehängt. Das Publikum ist gesetzteren Alters, nur vier mal Birkenstock, fünf Vollbärte. Walter ohne Klampfe, mit schwarzem Jackett, gezähmtes Graugewuschel an Stirn und Kinn; musikalische Geschichtsstunde. Leipzig 1813 schreibt Ernst Moritz Arndt allen künftigen teutschen Männerchören ins Liederbuch: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Gut geschmettert, Trio! Die deutsche Seele will sich ausdehnen immer schon wie das pathetische Vibrato durch die Saaltür ins Ostertor, natürlich meinen die nicht uns. Sicher, Leipzig Heldenstadt, aber, nach „Deutschland umarmt sich“ (BILD) kam ja die Erfahrung des Mundgeruchs nicht nur bei uns. Moßmann als einer der letzten Bedenkenträger zum Thema „ein Volk“ (an dem „das Völkische“ pechklebt) zitiert einen „Straßenfilosofen“: „Wenn sich Deutsche vereinigen, dann kriminell“. So stellt sich bei uns Altlinken Einverständnis her, oder so: Welche deutsche Reichsperspektive hätte sich ergeben, wäre das Saarland incl. Mainz Frankreich, alles südlich Neckar der Schweiz, das Gebiet bis Altona Dänemark zugeschlagen worden (Hansestädte autonom, Applaus! )? Moßmann hat Recht, immerfort, in Text und Ballade, Pinochet ließ deutsche Marsch

musik spielen, schon 1848 gab es „Dorfkristallnächte“ und Nation kommt von natus, geboren, will also wachsen, Deutschland in die Grenzen von Europa womöglich. Von Karl d.Gr. bis Kohl d.D.. (Nur wo es um Enzensberger geht, komme ich ins Staunen, der bei sich „europäischen Patriotismus“ diagnostizierte und dem Moßmann deduktiv beweist, daß er von einem muselmanenfreien Europa träumt!?) Genügt es, Recht, eine ehrliche, demogegerbte Haut zu haben, Aufklärer zu sein, um Leute von heute anzusprechen? Genügt nicht, wir wollen Witz und Entertainment, und den Balken im eigenen Auge, den wollen wir auch fühlen.

Richtig, da ist mehr: Da ist Musik, von einem begnadeten Joschi Krüger gesetzt und ins Pianoforte gehämmert, zitatenreich, subtil; die aggressive Stimme der Ex -Fundibonner Grünen Grit Moßmann, die dem Abend einen Dreh ins Feministische versetzt; und die Texte an der Wäscheleine.

Walter Moßmann ist Archivgräber, stöberte in Archiven zwischen Wien und Berlin, trieb Liedgut auf des Volkes minus das Völkische: Ein „Badisches Wiegenlied“ des Vormärz über Hunger; ein wehrkraftzersetzendes „Liedflugblatt“ aus Sachsen; ein Fabriklied aus der Mitte des 19.Jahrhunderts (Wien) vom „Glücksrad„-Traum, das sich einst drehen möchte, auf daß „der Fleißige Herr“ werde. Moßmann liefert historisches Ambiente dazu, daß man meint, er hätte mit seinen blauen Augen mitten zwischen den radikalen Handwerksgesellen in einer Pariser Kaschemme gesessen. Da ist er ganz in seinem Element und macht noch im demokratischsten Pamphlet die Infektion mit der „völkischen Krankheit“ dingfest. Womit er wieder bei seinem Thema ist. Der Mahner in völkischer Öde, wie er die modernen Zeiten sieht. Burkhard Straßman

Auftritte: Sa., 20 Uhr; So., 11.30 Uhr Matinee mit Diskussion