„So bin ich und so will ich sein“

■ Transsexuelle in Ost-Berlin: „Ich bin eine Frau - auch wenn ich (noch) nicht so aussehe!“ / Für Tilly war es ein langer Weg, bis sie sich zu ihrer Transsexualität bekannte / Die Maueröffnung brachte den entscheidenden Durchbruch / Informationen in der DDR immer noch dürftig

Ost-Berlin. „Es geht nicht darum, erst Mann und dann Frau zu sein - ich war immer eine Frau und stecke bloß in einer männlichen Hülle.“ Tilly Schallenberg ist transsexuell. Im Februar dieses Jahres hat die 21jährige Ostberlinerin den Antrag auf „Personenstandsänderung“, wie es im Amtsdeutsch heißt, gestellt. Seitdem wartet sie auf ihren Operationstermin in der Ostberliner Charite. Bereits im August 1989 gründete Tilly in Ost-Berlin eine Interessengemeinschaft für Transvestiten und Transsexuelle, allein und in Eigeninitiative, „weil ich an eigenem Leib erfahren habe, wie bitter es ist, wenn du als Transsexueller keinen Ansprechpartner hast“.

Tillys persönliche transsexuelle Geschichte begann im Alter von zehn Jahren. Angeregt durch einen Versandhauskatalog spürte sie erstmals den Wunsch, eine Frau zu sein. „Es war wohl auch ein bißchen Neid, wie sich eine Frau in verschiedenen Formen und Varianten verzaubern kann.“ Wenig später ging sie das erstemal in das Schlafzimmer ihrer Mutter, „in meine Traumwelt, wie ich es immer genannt habe“, um sich mit deren Kleidern auch äußerlich in eine Frau zu verwandeln. Mit den Jahren wurde das Verlangen danach immer größer, heimlich, immer wenn niemand zu Hause war. „Ich wollte es selbst nicht wahrhaben und habe meine ganze Energie darauf verwandt, meine Wünsche zu verdrängen.“ Tilly schwieg - aus Angst, von der Familie und den Freunden ausgestoßen zu werden. „Es ist eben nicht wünschenswert, so zu leben.“ Die Folge: Das Vertrauen zu den Eltern sank, Tilly zog sich mehr und mehr in ihre Traumwelt zurück.

„Erst mit zwanzig konnte ich vor mir selbst überhaupt zugeben, ja, so bin ich und so will ich sein.“ Drei Jahre zuvor war sie mit ihren Eltern aufs Land gezogen, nun kehrte sie aus beruflichen Gründen wieder zurück nach Ost-Berlin. „Somit war ich endlich das erstemal auf mich allein gestellt.“ Bei der Lektüre eines wissenschaftlichen Buches über Homosexualität fand sie ein Kapitel über Transvestiten

-„das traf mich wie ein Hammerschlag, wie ein Spiegel war das!“ Leben wie ein Transvestit - als Mann in „weiblichen Hüllen“ - glaubte Tilly, sei die Lösung ihres Problems. „Doch dann wurde der Drang wieder stärker, ich wollte Frau sein!“

Wie eine zweite Geburt war es für sie, als sie sich im letzten Sommer ihrer Freundin anvertrauen und deren Kleiderschrank benutzen durfte. „Ich konnte das erstemal vor einem Menschen so erscheinen, wie ich wirklich bin.“ Dies gab ihr die Kraft, um in der Öffentlichkeit Hilfe zu suchen

-doch zunächst schienen die Widerstände unüberwindlich. Weder das „Telefon des Vertrauens“ noch die Ehe- und Sexualberatungsstelle wußten Rat. Ärzte, die ihr weiterhalfen, fand sie ebenfalls nicht. Auch bei den Medien stieß Tilly auf wenig Interesse: „Sowohl der Fernsehsender elf 99 wie auch das Jugendradio DT 64 wollten sich wieder bei mir melden - darauf warte ich heute noch.“ Also gründete Tilly erst mal im Alleingang ihre Interessengemeinschaft. Dann, drei Monate später, öffnete sich die Grenze. „Das war für mich der Schritt nach vorn!“ Von der Westberliner Schwulenberatungsstelle „Mannometer“ erhielt Tilly zwei Kontaktadressen für Transsexuelle. „Hier fand ich endlich Freunde, mit denen ich sprechen konnte.“

Mittlerweile hat Tilly eine „gesunde Einstellung“ zu ihrer Transsexualität. Eine Beziehung zu finden, macht ihr jedoch immer noch große Schwierigkeiten. „Ich hab‘ es schon mit Männern probiert, das war zwar ganz angenehm, aber nicht mein Ding.“ Tilly möchte als Frau eine Beziehung zu einer Frau. „Es ist schwer, eine Partnerin zu finden, die akzeptiert, daß ich mich Schritt für Schritt auch körperlich zur Frau entwickle, die diesen Prozeß begleitet und mich so liebt, wie ich bin.“ Am wohlsten fühlt sich Tilly in Gesellschaft von Homosexuellen. Außer dem „Burgfrieden“ und der Diskothek in der Buschallee gibt es in Ost-Berlin keine speziellen Treffpunkte für Transsexuelle, so daß Homo- und Transsexuelle - im Gegensatz zu West-Berlin - in der Hauptstadt automatisch mehr Kontakte miteinander pflegen. „Ich könnte die Westler in den Arsch treten, daß sich dort Homos und Transis gegenseitig bekriegen - wir kämpfen doch alle um sexuelle Gleichberechtigung!“ Überhaupt fühlt sich Tilly im Westen etwas unbehaglich, „dort ist es kälter, man geht im Zweifelsfalle über Leichen“, in der DDR dagegen sei das Klima wärmer und menschlicher.

Ihre Eltern haben - nach anfänglichen Schwierigkeiten ihre Transsexualität mittlerweile akzeptiert, ebenfalls ihre Freunde, „obwohl einige es nicht verstehen und wohl auch nicht ernst nehmen.“ Tilly will jetzt die freie Zeit dazu nutzen, um mit ihrer Initiative, zu der sich mittlerweile zwei Leute hinzugesellt haben, verstärkt an die Öffentlichkeit zu treten. „Es gibt in der DDR viel zuwenig Aufklärung, ich will meine mühselig erarbeiteten Informationen weitergeben.“ Bislang existiert in der DDR lediglich eine interne Verfügung für Transsexuelle, die laut Tilly nur für Ärzte einsehbar ist. Für die Zukunft erhofft sich Tilly ein neues Transsexuellengesetz, das die Einrichtung von Beratungszentren in jedem Bezirk ermöglicht und somit für mehr Öffentlichkeit sorgt.

Gestellt hat sie ihren Antrag auf Personenstandsänderung bei ihrem Hausarzt, von dort wandert er über Kreis- und Bezirksarzt zum Ministerium für Gesundheitswesen und wegen der nötigen Personalienänderung auch zum Ministerium des Inneren. Wird der Antrag dort befürwortet, erhält ihn eine sechsköpfige Facharztgruppe in der Charite. Während eines zweiwöchigen Aufenthaltes dort wird Tilly daraufhin untersucht, wie stark ihre Transsexualität ausgeprägt ist. Kommen die Ärzte zu einem positiven Ergebnis, gibt es zwei denkbare Verfahren: entweder die Geschlechtsumwandlung durch eine Operation oder durch eine Hormonbehandlung. Parallel läuft in jedem Fall die Personalienänderung.

Im Westen ist das Verfahren ein bißchen anders: Hier kann eine Hormonbehandlung schon direkt nach der Antragstellung erfolgen. Der Antrag muß von zwei Gutachtern bestätigt werden, erst danach - meist nach einem knappen Jahr - wird die Operation eingeleitet. Sowohl im Westen wie im Osten zahlt die Krankenkasse. Zwar gilt im Osten - im Gegensatz zum Westen - Transsexualität nicht als Krankheit, dennoch wird die Geschlechtsumwandlung in der Regel von den Kassen bezahlt.

„Bei einer Potsdamer Bekannten hat es drei Jahre gedauert.“ Tilly hofft, daß es bei ihr schneller geht, „bis ich auch körperlich so aussehe, wie ich mich innerlich fühle“!

Martina Habersetzer

Interessengemeinschaft für Transvestiten und Transsexuelle, Tilly Schallenberg, Postfach 46, Berlin 1040, Tel.: 28 21 563 (c)q