„Dieser Mann ist gefährlich“

Hans-Peter Hauschild vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe über Rosa von Praunheims umstrittene Thesen zur schwulen Szene in der Aids-Krise  ■ I N T E R V I E W

Im 'Spiegel‘ und in der taz hat der Filmemacher Rosa von Praunheim den Aids-Hilfen und der schwulen Szene völliges Versagen im „beinahe verlorenen Kampf“ gegen Aids vorgeworfen. Die Aids-Hilfen reagierten mit einem saftigen Flugblatt, riefen zum Boykott auf, sprachen von „Verrat“ und „Verleumdung“.

taz: Warum reagiert die Aids-Hilfe so verbissen und so wenig souverän auf Praunheims Vorwürfe?

Hans-Peter Hauschild: Es gibt seit langem einen regelrechten Kampf zwischen den Aids-Hilfen und dem, was Praunheim - der für mich jetzt wieder Mischwitzky heißt - so alles abgesondert hat. Das waren manchmal Kunstprodukte von hoher Qualität, aber auch immer wieder Äußerungen, die auf Schuldzuweisungen an die Adresse von uns Infizierten hinauslaufen. Darüber streiten wir seit Jahren, auch über seine dubiose Haltung zum HIV-Test.

Gegen Streit ist nichts zu sagen, aber warum muß man ihm dabei seinen Namen aberkennen, ihn zum Geächteten machen und zur Unperson erklären?

Zur Unperson ganz sicher nicht. Es geht hier nur um die Aberkennung schwuler Ehrentitel, wie es Tuntennamen nun mal sind. Für mich ist jetzt ein Schnittpunkt erreicht, weil Mischwitzky uns auf einem öffentlichen Schauplatz heftig in den Rücken gefallen ist. An diesem Punkt müssen wir deutlich machen, daß er keine Stimme der schwulen Bewegung mehr ist.

Praunheim nimmt für sich gar nicht in Anspruch, Sprecher der Schwulen zu sein. Es ist nicht seine Schuld, wenn er von den Medien hofiert wird.

Die Medien holen immer dieselben Leute. Wir haben gemerkt, daß sie ihn auch deshalb gern anhören, weil er mit ihnen über die Schwulen herzieht. Das macht offenbar Laune. Das ist aber so stark gegen unsere Arbeit gerichtet, daß wir uns das nicht gefallen lassen können. Und deshalb müssen wir sagen, daß dieser Mann gefährlich ist. Das wirkt vielleicht etwas verbissen, aber der Streit fällt jetzt auch in eine neue Phase unserer Arbeit. Es gibt einen großen Veränderungspunkt, weil unter uns inzwischen sehr viele Leute krank geworden sind. Das hat Misch witzky nicht kapiert, und deshalb sieht er auch nicht die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung für unsere Arbeit.

Mal ganz konkret: Was ist an Praunheims Thesen so schlimm?

Am schlimmsten war der Vorwurf der Beihilfe zum Mord an die Adresse von Dannecker, Frings und Telge.

Dannecker selbst hat aber eher moderat darauf reagiert.

Dannecker hat die Äußerungen Mischwitzkys aus seiner analytisch-therapeutischen Praxis heraus bewertet als das konfuse Gerede eines Mannes, der in einer tiefen Krise steht. Wir aus unserer Sicht müssen aber festhalten, daß sich selbst die furchtbarsten bayerischen Politiker oder Gerichte nicht soweit verstiegen haben. Der Mordvorwurf geht aber auch gegen uns Aids-Hilfen. Er wirft uns vor, daß wir immer mehr Schwule in den Tod treiben würden.

Seine zentrale Aussage ist, daß die ständige Betonung von Eigenverantwortlichkeit und Freiheit, auch des Rechts auf Infektion, auf Kosten der Prävention geht.

Das ist der Kern der Diskussion. Hier geht es mitten ins Herz. Zunächst mal: Immer Safer Sex, das macht niemand. Beim Sex ist es nämlich nicht wie beim Anlegen des Sicherheitsgurts. Eine klare Botschaft - Ficken nur noch mit Kondom - verbunden mit einem moralischen Impetus reicht eben nicht aus. Sexualität ist etwas anderes als Autofahren. Das Wesen des Verlangens ist komplexer. Und da helfen auch keine moralinen Schübe. Praunheim macht uns Vorwürfe, weil wir frei von moralischen Mahnungen aufklären. Wir tun das aus einem einfachen Grund: Weil wir auf diese Weise mehr Infektionen verhüten können. Wir müssen das Selbst der Schwulen stärken, ihr Selbstbewußtsein. Das ist das Unterfutter für echte Handlungskompetenz. Der Weg der platten Kampagne mit einem Moralstoß, wie ihn sich Praunheim wünscht, ist der falsche Weg. Wir dürfen den Leuten kein schlechtes Gewissen, keine Schuldgefühle machen. Nur wer sich selbst geschätzt weiß, wer sich geliebt, gewollt, gebraucht sieht, kann sich und andere schützen, konstruktiv, phantasievoll, stark. Das In-den-Kopf-hämmern von Aufklärungsbotschaften appelliert an seelische Instanzen, die mit dem sexuellen Verlangen wenig zu tun haben.

Habt ihr mal versucht, Praunheims Artikel als bewußte Provokation zu verstehen, als gezielte Überzeichnung? Ihr müßt euch doch auch nicht jeden Schuh anziehen?

Das ist klar. Wir sind auch der Meinung, daß diese Diskussion geführt werden muß. Wir führen ständig sehr heftige, manchmal derbe Diskussionen. Aber im 'Spiegel‘ zu schreiben, daß die Aids-Hilfe aus Leuten besteht, die verbeamtet sind und nichts tun als sich auf staatlichen Geldbergen auszuruhen, das ist noch mal was anderes. Und er sagt das ja nicht in einer Debatte beim Bundesverband Homosexualität oder in der taz, sondern im 'Spiegel‘.

Den Vorwurf verstehe ich nicht. Warum nur in der Szene und nicht öffentlich diskutieren?

Na gut, jetzt diskutieren wir öffentlich. Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn wir hart reagieren. Zumal Mischwitzky heute rechts von den bayerischen Aids-Politikern steht. Von denen hätte keiner solche Geschütze aufgefahren. Nur: Stoiber oder Gauweiler sind als politische Gegner erkannt, Mischwitzky noch nicht.

Wir haben von vielen gehört, daß Praunheim viel Mist geschrieben hat, daß er aber auch einige unangenehme Dinge sehr klar ausspricht. Die Gefahr der Verbeamtung der Aids -Hilfe ist ja auch schon von anderen thematisiert worden, nur nicht so scharf. Jetzt zu sagen, der steht rechts von Gauweiler, ist zu einfach.

Der Vorwurf der Verbeamtung ist grotesk. Wir bedienen mit einer Handvoll hauptamtlicher Leute eine große Schar freiwilliger Helfer, die, wie ich in Frankfurt, die Positiven- und Schwulen-Arbeit organisieren. Da gibt es eine Masse von Arbeit, da sind Infizierte, die kränker werden, Projekte, Unterprojekte. Das hat nichts mit Beamtung zu tun, sondern mit der professionellen Erledigung notwendiger Aufgaben. Und bei dieser Arbeit sind wir unter-, unter-, unterbeamtet. Dieser Vorwurf ist ganz einfach blöd. Wir wären froh, wir hätten auch nur annähernd so einen Apparat wie Pro Familia zur Verfügung. Natürlich haben wir ein Telefon, Schreibtische und müssen Anträge ausfüllen. Sonst gibt es, verdammt noch mal, kein Geld für eine Bevölkerungsgruppe in einer schlimmen Krise.

Eure Arbeit, sagt Praunheim, würden zuviele Nicht -Betroffene, Nicht-Schwule machen. Ist es denn nicht wünschenswert, wenn die ganze Gesellschaft und nicht nur die Schwulen Aids zu ihrem Anliegen macht?

Es gibt ganz unterschiedliche Formen der Solidarität. Die primäre Solidarität ist die unter den Gleichbetroffenen. Eine Familienmutter ist niemals in gleicher Weise betroffen wie ein hoch-promisker schwuler Ledermann, dem in seiner Lebenswelt ein weitgehend infizierter Freundeskreis gegenübertritt. Dann gibt es die sekundäre Solidarität derer, die verstanden haben, was unter uns Schwulen passiert. Diese Solidarität wollen wir natürlich auch haben, wir fördern sie ganz gezielt mit unserer Arbeit. Aber sicher ist es klug, wenn wir sagen, daß für unsere Arbeit die Schwulen und Junkies den Stamm bilden sollen. Das tun sie auch, da stimmt Misch- witzkys Vorwurf einfach nicht.

Sind diese Vorwürfe nicht noch schlimmer interpretiert worden als sie eigentlich sind? Praunheim sagt zum Beispiel nicht, er möchte mehr Gauweiler, sondern fragt, ob mehr Gauweiler den Zusammenhalt der Schwulen stärkt.

Diese Analyse stimmt aber nicht. Gruppen, wie es die Schwulen sind, die mit ihrer Identität kämpfen, die eine sehr junge Geschichte haben, die ohnehin mit dem schlechten Gewissen zu tun haben, die tendieren auch manchmal zur Denunziation. Mehr Gauweiler heißt auch mehr Bespitzelung, mehr Anzeigen, mehr Denunziation. Und das bedeutet sicherlich nicht mehr Zusammenhalt. Wir wissen zum Beispiel aus ganz konkreten Gerichtsverfahren in Bayern, daß hier Freunde aus der Szene gegen einen Infizierten ausgesagt haben. Das ist die Konsequenz von „mehr Gauweiler“.

Interview: Manfred Kriener