Polnische Regierung unter Druck

Streiks der Eisenbahner werden ausgeweitet / OPPZ-Gewerkschaften heizen Stimmung an / Regierung bleibt hart / Solidarnosc und Walesa distanzieren sich von der Konfrontationstrategie  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Man muß jetzt zusammenarbeiten und sich beherrschen, sonst machen wir Polen kaputt“, rief Lech Walesa am Donnerstag nachmittag bei seinem wöchentlichen Treffen mit Danziger Bürgern und Journalisten. „Jetzt ist es am wichtigsten, daß wir aus unserer Armut herausfinden. Statt dessen fahren unsere neuen Helden nach Slupsk und stacheln das Volk auf“, attackierte er den Chef der kommunistischen Gewerkschaften OPZZ, Alfred Miodowicz, und Marian Jurczyk, Chef der „Solidarnosc 80“, die die Streikenden ebenfalls unterstützt. Nach einem Bericht der 'Gazeta Wyborcza‘ hat Miodowicz den Streikenden in Slupsk angeboten, in ihrem Namen mit der Regierung zu verhandeln und dabei Erfolg gehabt. Ganz offensichtlich sind sowohl „Solidarnosc 80“ als auch Miodowicz bemüht, die Streiks zu politisieren und in eine Bewegung gegen die Regierung umzumünzen.

Inzwischen wird auch der Verladebahnhof des Hafens in Gynia bestreikt. Auch in Stettin wurden weitere Verbindungen stillgelegt, so die Verbindung Stettin-Swinoujscie. Wie die polnische Nachrichtenagentur 'Pap‘ meldet, gehen die Vorräte in der Hütte „Szczecin“ langsam zu Ende, da durch die Streiks die Hütte von den Kohlelieferungen aus Schlesien abgeschnitten ist. In der Region Bielsko-Biala in Schlesien warten zur Zeit insgesamt 26 Güterzüge mit Kohle und anderen Waren auf die Abfahrt in Richtung Küste. Durch den Streik in Inowroclaw ist auch die Zulieferung für die „Petrochemie Plock“ betroffen, dort wird unter anderem polnischer KFZ -Treibstoff hergestellt. Auf die Versorgungslage bei Benzin kann sich auch der Streit in Gdynia auswirken, da westliche Importe nicht mehr entladen werden können.

Die Verhandlungen in Warschau zwischen den Vertretern von zwei in den OPZZ organisierten Gewerkschaften und einer autonomen Gewerkschaft sowie der Eisenbahner-Solidarnosc sind am Donnerstag abend ergebnislos zu Ende gegangen. Bis auf Solidarnosc brachen alle teilnehmenden Gewerkschaften die Verhandlungen ab und begaben sich nach Slupsk. Die Regierung lehnt ein Eingehen auf die Lohnforderungen der Eisenbahner weiter ab. Finanzminister Balcerowicz erklärte gestern im polnischen Sejm, die Regierung sei bereit, die Lohnstoppbestimmungen zu lockern, falls die Ergebnisse der ersten fünf Monate dieses Jahres dies zuließen. Da jedoch im letzten Monat die Inflation wieder leicht angestiegen sei, bedeute dies große Kompromißbereitschaft.

In der Bevölkerung mehren sich Anzeichen für Ungeduld gegenüber den Streikenden. Das polnische staatliche Fernsehen zeigte gestern abend Bilder aus Stettin, in denen eine aufgebrachte Menge den streikenden Eisenbahnern vorwarf, die Regierungspolitik zu sabotieren und die Ergebnisse von fünf Monaten Entbehrungen zunichte machen zu wollen. Der Stimmung in Warschau nach zu schließen, können die Streikenden außerhalb der Eisenbahnen kaum auf Unterstützung rechnen. Klaus Bachman