Karteikarten für Bonns alte Männer

■ Was H.J.Vogel Vernon Walters abgucken sollte

Vernon Walters, Bonner US-Botschfter und ausgewiesener Rechtsradikaler, ist auf Gespräche mit JournalistInnen stets umfassend vorbereitet. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Ungefähr 30 ausländische Korrespondenten hatte Walters geladen, ihnen zur Politik der USA Rede und Antwort zu stehen. Die Rede war natürlich präpariert - die Antworten waren's allerdings nicht minder. Nach jeder Frage der Kollegen, bekam Walters von seinem Pressesprecher eine Karteikarte im Din-A-5-Format zugeschoben. In großen Druckbuchstaben war für den über 70jährigen Diplomaten darauf festgehalten, was dieser zu erwidern hatte. Ob die Nato ihre Strategie verändert, wie die USA ein wiedervereinigtes Deutschland ins westliche Bündnis kriegen, welche Politik man mit dem angeschlagenen Gorbatschow betreibt - all dies und noch viel mehr las Walters, heftig gestikulierend, von seinen Karten ab. Gefragt, weshalb er nicht frei spreche, stellte der US-Botschafter der Presse ein vernichtendes Zeugnis aus: Von JournalistInnen kämen ohnehin immer die gleichen Fragen. Was zumindest auch hinter dem Karteikartensystem steckt, offenbarte der alte Kalte Krieger zu späterer Stunde: Wenn er frei spräche und dabei ihn Fahrt gerate, passiere es immer wieder, daß er mehr sage, als er dürfe... * * *

Einser-Jurist, sehr gebüldet und meist blendend informiert ist er zwar, der SPD-Chef Hans-Jochen Vogel. Trotz alledem: eine einfache Regel im Spiel der Bonner Politik bereitet dem alten Hauptstadt-Hasen noch immer Schwierigkeiten: Der Geheimhaltungskodex für Informationen, die PolitikerInnen JournalistInnen geben. Vor fast jedem Gespräch wird nämlich festgelegt, wie diese Auskünfte verwendet werden dürfen: „Unter eins“ wird jede Information klassifiziert, die man den AuskunftgeberInnen auch öffentlich zuschreiben kann; „unter zwei“ ist sie nur ohne Quelle zu verbreiten; „unter drei“ darf sie den Hinterkopf der JournalistInnen nicht verlassen. Vogel hat neulich vor Dutzenden von JournalistInnen ein Statement „unter vier“ abgegeben, das er für besonders brisant hielt. Sein Sprecher, Sepp Binder, korrigierte ihn. Vogel dankte: „Man lernt doch immer dazu.“ Von wegen: Bei einer etwas früheren Gelegenheit hatte Binder dem Chef ein „Unter vier“ gestrichen. Eine Karteikarte für Herrn Vogel?

Ferdos Forudastan