Porträt eines Bürgerprotestes

■ „Wertvolle Jahre“ - Dokumentarfilm von Thomas Carle und Gruscha Rode, ZDF, 22.55 Uhr

Rebmann hat mich als die Person aufgebaut, die es gewesen sein soll“, erklärt der junge Mann zu Beginn des Films. Frank Hoffmann, so die Bundesanwaltschaft, ist dringend verdächtig, am 2.November 1987 während einer Demonstration an der Startbahn-West gemeinsam mit dem 35jährigen Andreas Eichler den Polizeihauptkommissar Klaus Eichhöfer und den Polizeimeister Thorsten Schwalm erschossen zu haben.

Wertvolle Jahre aber stellt nicht die Frage nach dem Tathergang, rekonstruiert nicht den Mordanschlag vom 2. November, der Film zeigt lakonisch die Bilder von der Beerdigung der beiden Polizisten 1987: Eine riesige Menschenmenge, darunter auch allerlei Politprominenz, gibt den Toten das letzte Geleit. Ein Chor singt: „Herr, erbarme Dich unser.“ Doch unvermittelt endet die Szene, während die Musik weiterläuft. Sie untermalt jetzt nicht mehr den Trauerzug, sondern konstrastiert mit düsteren Archivaufnahmen von einer der unzähligen Nachtdemonstrationen an der Startbahn-West in den frühen achtziger Jahren. Der Trauergesang macht die Zeitspanne von fast zehn Jahren, die zwischen den Aufnahmen liegt, vergessen. Mehr noch, er zieht die Ereignisse zusammen, verzahnt sie miteinander. Ein schlichter Kunstgriff, der im Grunde die Leitidee des Films formuliert: „Die Schüsse vom 2.November 1987“, erklärt Thomas Carle am Telefon, „haben den Blick auf die Vorgeschichte verstellt. Wir versuchen mit unserem Film eine Entwicklung aufzuzeigen, an deren Ende die Ermordung der beiden Polizisten steht.“ Der Werdegang des Tatverdächtigen Frank Hoffmann dient dem Autorengespann Carle/Rode dabei als Leitfaden. In seiner Biographie, so die These des Films, verdichtet sich die Chronologie einer Widerstandsbewegung. Die Filmemacher greifen bei alldem auf Bildmaterial aus eigenen Beständen zurück, denn Thomas Carle, selbst wohnhaft im Rhein-Main-Gebiet, filmte immer wieder seit Beginn der Stratbahn-Bewegung vor Ort. Sukzessive ensteht so das Portrait eines Bürgerprotestes, das sich durch eine kenntnisreiche Innenansicht auszeichnet, ohne in ein blindes Abfeiern der eigenen ideologischen Positionen zu verfallen; ein Makel, der allzu oft den gutgemeinten Bewegungsvideos anhaftet. Wertvolle Jahre hingegen traut sich aufzuzeigen, daß im immer wieder kolportierten Bild von der harmonischen Allianz der Grau und Langhaarigen auch Risse auszumachen sind. „Wenn sie weg sind“, kommentiert ein Bewohner einer startbahnnahen Gemeinde die bevorstehende Räumung des Hüttendorfes, „dann ist wieder Ruhe und Friede.“ Widerstand ja, aber bei der Frage nach der Form schieden sich nur allzu oft die Geister. Da verliefen die Gräben bisweilen mitten durch die Familien. So auch bei Familie Hoffmann: Mutter und Sohn, zunächst gemeinsam aktiv in einer Bürgerinitiative, sammelten emsig Unterschriften für ein Volksbegehren gegen den Bau der Startbahn-West. Am 15.Oktober 1981 allerdings erfolgt dessen Abweisung trotz 174.000 Unterschriften. Das Datum markiert eine Zäsur. Für die einen war es das frustrierende Ende eines engagiert geführten Kampfes, für die anderen der Beginn einer gesetzwidrigen Gegenwehr. „Dann halt in die Illegalität“, so die damalige Entscheidung des Frank Hoffmann.

Hier ist die Innenansicht des Films zu Ende. Der Blick der Autoren wandelt sich, ab jetzt nähert man sich dem Gegenstand von außen. Der Anwalt von Frank Hoffmann darf die „mangelnde theoretische Fundierung“ der Autonomenszene, zu der der Angeklagte gerechnet wird, konstatieren und drückt damit gleichzeitig die Hilflosigkeit der Filmemacher aus. Die Beweggründe von Leuten, die glauben, durch das Umlegen von Strommasten - im „rein funktionalen, aktionistischen Kampf“ (O-Ton Hoffmann) - seien Veränderungen herbeizuführen, sind dem Regiegespann fremd geblieben. Was hinter den tausendfach gesendeten Bildern von schwarzuniformierten Autonomenaktivisten liegt, auf diese Frage vermag der Film keine Antwort zu geben. Dennoch ist Wertvolle Jahre ein mutiges Stück. Nicht zuletzt deshalb, weil hier eine Straftat eingebettet wird in einen polit -historischen Zusammenhang, und das, obwohl der Mordprozeß noch nicht entschieden ist.

Daß ein solches Projekt selbstverständlich nur unter den wachsamen Augen des ZDF-Justiziars Form annehmen durfte, bestätigt Thomas Carle auf Anfrage: „Man hatte dort einfach Angst, der Film könnte für eine terroristische Vereinigung werben.“

Friedrich Frey