Eine Strategie für die Demokratie in Kolumbien

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Angelino Garzon war bis vor kurzem Generalsekretär des kolumbianischen Gewerkschaftsverbandes CUT und Vizepräsident der linken Partei Union Patriotica. Nachdem er und eine Gruppe von Reformern mit der Kommunistischen Partei gebrochen haben, wird nun die Formierung einer neuen linken Bewegung versucht. Nach Diskussionen an der Basis soll im November der Gründungskongreß stattfinden. Die Reformer unterstützen bei den Präsidentschaftswahlen am 27.Mai die Kandidatur des ehemaligen Guerillakommandanten Navarro Wolff.

taz: Bis Jahresende soll eine breite Bewegung linker Parteien und Bewegungen entstehen - schlägt die kolumbianische Linke einen neuen Kurs ein?

Angelino Garzon: Schon seit Jahren denken verschiedene linke Kräfte über eine demokratische Alternative für Kolumbien nach. Es handelt sich um ein Zusammenwirken der neuen Linken - nicht nur der Marxisten sondern auch der Christen und nationalen Demokraten - im Glauben an eine politische Lösung statt der wahnwitzigen Gewalt. Wir stellen uns eine politische Bewegung vor, in der Meinungsverschiedenheiten respektiert und politische Ideen im Dialog vermittelt werden können.

So sollte einst auch die Patriotische Union (UP) aussehen, aber nun sind Sie, zusammen mit einer wichtigen Gruppe von Politikern, aus dieser Partei ausgetreten.

Wir haben die Führung der UP verlassen, weil dieses pluralistische Projekt entstellt worden ist. Durch ihre Vorherrschaft und ihr Sektierertum hat die Kommunistische Partei, die einzige organisierte Kraft innerhalb der UP, eine offenere Politik verhindert, die mit anderen linken Kräften entworfen worden war.

Sie selbst waren Mitglied des Zentralkomitees der KP. Muß man da nicht von einer Spaltung der Kommunisten sprechen?

Wir sind nicht ausgetreten, sondern faktisch ausgeschlossen worden. Es gibt tiefgreifende politische Differenzen. Um heute ihre historische Mission erfüllen zu können, muß eine kommunistische Partei innenpolitische Beweglichkeit zeigen und sich über die weltweite neue Linke im Klaren sein. Die Demokratie muß eine Strategie sein, keine Taktik. Wir halten die Veränderungen im Ostblock für positiv, in der KP dagegen wird die Perestroika nur nach außen hin unterstützt - intern hält man sie für Verrat.

Was Kolumbien angeht: die Existenz der Guerilla ist zwar auf den Mangel an Demokratie zurückzuführen, aber die Kolumbianer sind den Krieg leid und die Guerillabewegungen müssen einen glaubhaften Friedensvorschlag präsentieren, wobei der Frieden keine Taktik zur Weiterführung des Krieges sein darf. Außerdem muß die Guerilla die menschliche Würde respektieren und eine revolutionäre Ethik besitzen.

Diese Ethik gibt es heute nicht?

Sie existiert schon, aber sie wird häufig aufgegeben, wenn es darum geht, interne Differenzen durch Morde und Drohungen auszutragen.

Als Reformer erhielten Sie von der KP keinerlei materielle Unterstützung mehr...

Ich hatte mir in eigener Initiative eine gewisse Infrastruktur für meine Sicherheit geschaffen - Wagen, Waffen, kugelsichere Westen, Geldmittel... Das habe ich alles an die KP zurückgegeben. Als es dann sehr konkrete Drohungen und Attentatspläne von seiten der extremen Rechten gab, hat die Führung der KP keine Solidarität gezeigt.

Könnte es nicht auch Drohungen der äußersten Linken geben?

Ich glaube nicht - obwohl ich öffentlich die Praxis kritisiert habe, politische Differenzen mit Gewalt auszutragen. Fanatiker und Verrückte gibt es immer, aber wenn mir etwas passieren sollte, wäre sicher die Ultrarechte dafür verantwortlich.

Kommen wir auf die neue linke Bewegung zurück. Es wird gemunkelt, die Sozialdemokratie habe die Hand im Spiel...

Wir sind der Meinung, es müssen Beziehungen zur Sozialdemokratie wie zu anderen Bewegungen unterhalten werden. Meine persönliche Ansicht ist, daß wir die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale nicht überstürzen sollten. Einige Genossen haben von ihren Organisationen her Kontakte zur Friedrich-Ebert-Stiftung, aber als Bewegung haben wir noch kein Gespräch mit der Stiftung geführt. Sollte die Ebert-Stiftung uns ein Kooperationsangebot machen, würden wir wohl nicht ablehnen. Im Moment gibt es allerdings noch nichts.

Was sagt die Rechte zu dem linken Projekt?

Die äußerste Rechte, in der hohe Militärs, politische Führer, bestimmte Kreise der Unternehmer, der Drogenmafia und der Großgrundbesitzer versammelt sind, ist damit nicht einverstanden, sie hat auch kein Interesse am Dialog zwischen Regierung und Guerilla oder einem soliden Friedensprozeß. Die Rechte will das politische Chaos, eine Kriegssituation, die es erlaubt, die demokratischen Freiheiten einzuschränken. Die Rechte glaubt, in einer solchen Bürgerkriegssituation siegen zu können - das ist eine typisch faschistische Vorstellung. Aber wir sind der Meinung, daß sie nur irrationale Gewalt auslösen würden, mit unabsehbaren schmerzlichen Konsequenzen.

Ist denn die kolumbianische Linke überhaupt eine Bedrohung für die Rechte?

Ich glaube nicht, die kolumbianische Linke ist eine politische Randgruppe. Aber es geht wohl darum, ein großes Projekt gleich im Keim zu ersticken - daher die Gewalt gegen die Patriotische Union, die Ermordung von über tausend Mitgliedern, daher auch die Ermordung des ehemaligen Führers der Guerilla M-19, Carlos Pizarro, daher die Todesdrohungen gegen einige Führer der neuen Bewegung.

Könnte man nicht auch von einer Art Drogenfaschismus sprechen?

Zweifellos handelt es sich um ein Projekt mit starker Präsenz des Drogenkapitals, das seinen Markt und seine Spielräume absichern will. Aber wir denken, es handelt sich im wesentlichen um Rechtsradikale, die den Drogenhandel zur Finanzierung ihrer Politik benutzen.

Wird man einen Staatsstreich versuchen?

Ich bin nicht sicher, aber es könnte eine Art politische Destabilisierung geben, und vielleicht wird dann eine rechtsradikal orientierte zivil-militärische Diktatur installiert.

Interview: Ciro Krauthausen