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Hungerstreik für Pressefreiheit

Inhaftierte türkische Journalisten begehren auf / 748 Jahre Haftstrafe wegen „kommunistischer Propaganda“  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Seit dem 16.Mai befinden sich zehn türkische Journalisten in den Gefängnissen Canakkale und Bartin in einem unbefristeten Hungerstreik. Fast alle sitzen seit dem Militärputsch 1980 im Gefängnis ein, verurteilt zu Jahrzehnten Haft aufgrund ihrer Gesinnung und Artikeln, für die sie als Chefredakteure legal erscheinender Zeitschriften presserechtlich verantwortlich zeichneten. Für den Staat sind sie damit hochkriminelle „Gesinnungstäter“.

Zum Beispiel der 36jährige Veli Yilmaz. Aufgrund von Artikeln, die 1977 in der Zeitschrift „Halkin Kurtulusu“ (Befreiung des Volkes) erschienen, wurde er 1980 von den Inquisitionsgerichten der Militärs zu insgesamt 748 Jahren Gefängnis verurteilt. Für jeden publizierten Artikel setzte es Zuchthausstrafen, die sich zu den 748 aufsummieren. Wären die Urteilsbegründungen nicht brutale Realität, könnten sie aus einem Satiremagazin stammen: „Kommunistische Propaganda durch die Forderung nach Bodenverteilung an die landlosen Bauern - zehn Jahre Gefängnis“. - „Kommunistische Propaganda durch die Veröffentlichung, daß sich das weibliche Geschlecht nur durch die Vergesellschaftung der häuslichen Arbeit von der Sklaverei der Hausarbeit befreien kann - fünf Jahre Gefängnis.“ - „Beleidigung der Streitkräfte durch Kommentare zu Prügel und Schimpfworten in der Armee - sechs Jahre Gefängnis“ ...

Während die türkische Regierung publizitätsträchtig die Freilassung der beiden KP-Führer Haydar Kutlu und Nihat Sargin Anfang Mai nutzte, um ihr Image in der Weltöffentlichkeit aufzupolieren, ergingen erneut Haftbefehle gegen linke Journalisten und Autoren. Seit Monaten sitzt der Sozialwissenschaftler Ismail Besikci wegen drei publizierten Büchern über Kurdistan in Untersuchungshaft. Während die türkische Presse ebenso wie die europäischen Medien breit über die Freilassung der KP -Führer berichteten, ist der Hungerstreik der linken Journalisten kaum eine Zeile wert.

„Sie können doch nicht die Atmosphäre der Freiheit leugnen“, sagte der türkische Justizminister Oltan Sungurlu in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin '2000e Dogru‘. Seit über einem Jahr kündigt die türkische Regierung eine Strafrechtsreform an, die angeblich die berüchtigten Gesinnungsparagraphen, nach denen auch die jetzt hungerstreikenden Journalisten verurteilt worden sind, reformieren soll. Passiert ist bislang nichts. Auf die Frage, ob man nicht etwas für die seit zehn Jahren einsitzenden Journalisten unternehmen könne, flüchtete sich der Justizminister in Zynismus: „So etwas gibt es nicht in unserem Rechtssystem. Die sind rechtskräftig verurteilt.“

Mörder, Vergewaltiger und Wirtschaftsverbrecher, die vor zehn Jahren zu Gefängnis verurteilt wurden, sind längst auf freiem Fuß, während die „Schreibtischverbrecher“ ein Leben lang hinter Gittern sitzen müssen.

Unter den im Gefängnis einsitzenden Journalisten ist auch Hasan Selim Acan, verurteilt zu 307 Jahren Gefängnis. Während seiner Polizeihaft ermordeten Polizisten seinen Freund Ataman Ince - einer der wenigen Fälle von Folter, die vor Gericht kamen. Wegen dem Foltermord wurden die Polizisten zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Acan, der selbst während der Polizeihaft barbarisch gefoltert wurde, sitzt seit zehn Jahren. Um ein Strafmaß von zehn Jahren zu bekommen, muß ein Polizist schon 20 Gefangene unter Folter ermorden. Das Rechtssystem sieht es halt so vor.

„Diejenigen, die von Demokratie in der Türkei reden, sollten sich was schämen“ meint der Abgeordnete Mahmut Alinak. Kein Zweifel, daß er recht hat.

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