Miethaie und Grundstücksgeier - Nein Danke!

■ Gegen die ungesicherte Zukunft von Mietern und Eigentümern machte der DDR-Mieterbund in Berlin mobil / Wolfgang Ullmann: Die Regierung schützt die Bürger zuwenig vor dem Ausverkauf des Volksvermögens / Klage vor internationalem Gericht erwogen

Berlin (taz) - „Gegen Fütterung von Grundstücksgeiern und Miethaien in der DDR“, buchstabiert die achtjährige Johanna ein handgeschriebenes Plakat. „Mama, wat sind denn det für Tiere?“ Fast geht die Frage im Gebrüll der empörten Mitbürger auf dem Alexanderplatz unter. Zufällig ist die kleine Berlinerin mit ihrer Mutter zu der Kungebung des DDR -Mieterbundes gestoßen. Nun stehen sie am Rande der dichten Menschenmenge und sichten Plakate und Mitbürger mit kämpferischen Gesichtsausdrücken. „Wat Miethaie sind weiß ich och nich so jenau, aber Grundstücksgeier sind wohl die Wessis, die uns unsere Häuser wegnehmen wollen“, murmelt die Mutter und ist doch ganz Ohr beim Redebeitrag des stellvertretenden Volkskammerpräsidenten Wolfgang Ullmann. „Die Leute, die vor vierzig Jahren das Land verlassen haben, kommen heute und treten auf, als sei nichts passiert“, beklagt sich Ullmann über die Grundstückeeigentümer aus der BRD und bekommt gehörigen Beifall dafür. „Allein die Briefe, die wir kriegen, sind 'ne Frechheit“, empört sich ein bierbäuchiger Hausbesitzer und zückt auch schon das Beweismaterial. „Der von Ihnen unterschlagene Besitz ist sofort zurückzugeben. Hiermit beschlagnahme ich neben dem Grundstück als solchem auch alle auf dem Grundstück befindlichen Gebäude“, zitiert er den dreisten Eigentümer aus Lübeck und redet sich in Rage. „Det ist ja allet schön und jut, dat der Ullmann die DDR vor einem internationalen Jericht verklagen will, aber bis det über die Bühne geht, sitze ich mit meiner Frau und den drei Kindern vielleicht schon uff der Straße“.

Ullmann, der das Bündnis 90 vertritt, wirft der Regierung vor, die Bürger zu wenig vor dem Ausverkauf des Volksvermögens zu schützen. „Was es in der Tschechoslowakei bereits gibt, nämlich Anteilsscheine am Volksvermögen für jeden Bürger, muß es auch bei uns geben“, fordert Ullmann mit unterdrücktem Zorn. Und wieder hat er die rund 500 Beteiligten der Kundgebung auf seiner Seite.

Viel Verständnis findet an diesem Vormittag auch ein Vertreter der Mieterinitiative Klein-Machnow. Zwölftausend Seelen zählt der Provinzfleck im Süden Berlins. Dreiviertel aller Bewohner könnten von ihrem Grund und Boden vertrieben werden, würden die westlichen Eigentümer von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. „Die westlichen Medien behaupten ja immer, daß nur Stasi und Politiker bei uns Häuser hätten. Das stimmt nicht!“, brüskiert sich der Eigentümer aus Klein -Machnow. 90 Prozent aller Hausbesitzer seien Arbeiter und Angestellte. „Allet Bonzen, da drüben“, pflichtet eine stöckelbeschuhte Enddreißigerin dem Redner lautstark bei. Sie klatscht ihm genauso Beifall, wie dem Vertreter der Ostberliner Hausbesetzer, der wenig später den als Podium umfunktionierten LKW betritt. Seine Forderung besteht vor allem darin, der Nobelmodernisierung den Kampf anzusagen. „Sonst werden bald arme und minderbemittelte Leute wieder in periphere Satellitenstädte abgeschoben“, ruft er, und so mancher der Zuhörer denkt wohl mit Schaudern an die Hochhausghettos in Marzahn und Adlershof.

Als die Westberliner Justizsenatorin Jutta Limbach die Redebühne betritt, kann ein junger Ost-Berliner nicht mehr an sich halten: „Ihr blöden westlichen Fotzen“, brüllt er. „Seit fünf Jahren brauche ich 'ne Wohnung, und jetzt nehmt ihr uns auch noch die letzten weg!“. Die umstehenden Mitbürger sind empört ob dieses unflätigen Wortbeitrags. Im selben Augenblick tut es dem jungen Mann auch schon wieder leid. „Aber was kann ick denn noch anderet tun, außer zu brüllen. Bei den Kapitalinskis da geht mir doch einfach der Hut hoch“. Als die Justizsenatorin eine Erhöhung der Mieten als unvermeidbar verkündet, begnügt sich der Zornnickel jedoch damit, sich in den Chor der empörten Buh-Rufer miteinzureihen.

Christine Berger