Kein Pole diskutiert über die Grenze

Andrzej Szczypiorski, polnischer Schriftsteller, zur deutsch-polnischen Aussöhnung  ■ D O K U M E N T A T I O N

Neben der bundesdeutschen Politprominenz wie Richard von Weizsäcker, Helmut Kohl und Hans-Joachim Vogel kam auf der Hauptkundgebung des Berliner Katholikentages auch der mit dem Kunst- und Kulturpreis der Deutschen Katholiken ausgezeichnete Schriftsteller Andrzej Szczypiorski zu Wort. Wir dokumentieren Auszüge seiner Rede:

Lieben Freunde!

Ich ergreife das Wort als Pole, polnischer Schriftsteller, Bürger des zukünftigen vereinigten Europa unserer Träume. (...)

Ich wende mich an Euch als ein Vertreter polnischer Kultur, die im Laufe der letzten fünfzig Jahre einer schwierigen Probe ausgesetzt war. In den fünf Jahren der Besatzung durch Hitler-Deutschland, der schrecklichsten Erfahrung meines Volkes von den tausend Jahren seiner christlichen Geschichte, gebot uns polnische Kultur, das geistige Erbe der Polen, nationale Tradition und Vaterlandsliebe nicht nur um biologisches Überleben zu kämpfen, sondern auch um den Sieg der Freiheit und der Würde des versklavten, erniedrigten, unvorstellbaren Leiden ausgesetzten Menschen. (...)

Es geht (jetzt) um Versöhnung und Verständnis zwischen Polen und Deutschen. Es geht um die Abschließung eines tragischen Kapitels unserer Beziehungen und Eröffnung eines neuen, der Zusammenarbeit, Freundschaft und guter Nachbarschaft. Die Mehrheit der Polen begrüßt mit Sympathie den Einigungsprozeß des deutschen Volkes, das genauso das Recht hat, sein Recht zu bestimmen, wie alle anderen Völker der Welt. Unsere Beunruhigung und Ängste kommen aus den tragischen Erfahrungen der Vergangenheit - und das soll man verstehen. Die Polen aber vertrauen auf die Kraft der polnischen Demokratie, sie vertrauen also auch auf die Kraft der deutschen Demokratie.(...)

Für uns Bürger der Republik Polen gibt es kein Problem der Staatsgrenzen. Kein Pole ist bereit, eine Diskussion darüber zu führen. Es wäre eine sinn- und gegenstandslose Auseinandersetzung. Die Oder-Neiße-Linie ist die Grenze zwischen Polen und Deutschland und so wird sie bleiben. Es besteht nur ein Problem von der deutschen Seite: ganz Europa die Stärke und Beständigkeit der deutschen Demokratie zu zeigen und diese Grenze auf eine eindeutige Weise, ohne jegliche Unklarheiten durch beide deutschen Staaten noch vor dem Akt der Vereinigung anzuerkennen.

Und was die Polen anbelangt, so sagen wir klar und deutlich - diese Grenze muß offen sein, für Menschen, Gedanken, Meinungen, Ideen und Waren. Das soll eine Grenze einer geistigen und materiellen Freiheit sein, die Polen eine immer stärkere Integration mit Europa ermöglicht. (...)