Wider den Provinz-Mief

Mit City-Bags auf dem Rücken, aufgeklappten Falk-Plänen und Gesangsbüchern zogen sie durch Berlin - eingestellt auf vier Tage Metropole. Auf dem Hammerskjöldplatz vor den Messehallen sangen sie zur Gitarre das obligatorische Halleluja oder regelten als OrdnerInnen und HelferInnen den gläubigen Verkehr vom Omnibusbahnhof bis zur Podiumsdiskussion.

Auch diesmal standen der Katholikentag und die Gegenveranstaltung „Katholikentag von unten“ (Kvu) wieder im Zeichen der Jugend. Dreiviertel aller DauerteilnehmerInnen waren unter 30 und entprechend bemühte sich das offizielle Programm um den Dialog: Diskussionen mit und über Jugendliche, viel Musik, eine Rock-Nacht für Südafrika in der Waldbühne. Zum „Katholikentag von unten“ kamen viele Junggläubige auch aus Interesse am Anderen, Neuen, Nichtoffiziellen. Dort wollten sie sich orientieren, ob es noch lohnt, sich in dieser Kirche zu engagieren oder was man tun kann, um die Kirche zu verändern. „Ohne Konflikt gibt es keine Erneuerung in der Kirche“, hieß es zum Abschluß der viertägigen Diskussionen an die Adresse der Kirchenoberen. Ungehorsam in Kirche und Gesellschaft werde zur Pflicht, wenn Christen solidarisch an der Seite der Unterdrückten ständen. In einer „Berliner Erklärung“, die in der Großveranstaltung „Kirche-Macht-Moral“ verabschiedet wurde, wird zur Reform gemahnt: Kirchliche Moral sei zu einseitig auf Sexualität fixiert, die Kirche müsse ihre Moral aber auch bei Themen wie Abrüstung, Umweltzerstörung und Schuldenkrise einklagen. Frauen, Homosexuelle, verheiratete Priester und Geschiedene müssten in vollem Umfang am kirchlichen Leben teilnehmen dürfen.

Die Bilanz der innerkirchlichen Opposition ist insgesamt positiv, auch wenn „ein gewisses Konsumverhalten und Reagieren auf prominete Namen“ sowie ein Loch von 50.000 DM in der Kasse beklagt werden. Kvu-Sprecher Tom Schmidt: „Gegenöffentlichkeit ist nötig, deshalb werden wir auch 1992 dabei sein. Fatal wäre, wenn der offizielle Katholikentag das einzige Sprachrohr der katholischen Laien würde. Wir sind ein wichtiges Sprachrohr für Minderheiten.“ Das Verhältnis zu den Offiziellen sei aber eher schlechter geworden. „Ein offener Konflikt wird vermieden, aber praktisch wird uns jeder denkbare Knüppel zwischen die Beine geworfen.“ So habe die Mutterkirche beispielsweise Mitarbeiter des Kvu mit Ordnern vom Messegelände werfen lassen.

Warum also sind kirchliche Massenveranstaltungen trotzalledem so anziehend für Jugendliche? Natürlich lockt das Abgebot vier Tage in Berlin zu sein, aber auch beim offiziellen Katholikentag erfahren die Jugendlichen ein „wir -Gefühl“ und eine andere, aufgeschlossenere, lebendigere Kirche. Die Rückkehr in ihre Heimatgemeinden und in die frustrierende Jugendarbeit, die häufig die Belange der Jugend mißachtet, fällt vielen daher sehr schwer. Katholikentage sind eben für viele Junge auch Injektionen von Glaubens- und Kirchenfreuden die sich beim heimischen Pfarrer selten wiederholen lassen.

Bernhard Pötter