Freiheit heißt nicht Aids

Interview mit Michael Callen, New Yorker Sänger und einer der am längsten überlebenden Menschen mit Aids  ■  I N T E R V I E W

taz: Du bist als Vertreter der New Yorker Schwulenorganisation „Act up“ nach Leipzig gekommen. Welches Engagement zeichnet „Act up“ aus?

Michael Callen: „Act up“ geht auf die Bemühungen von Larry Kramer Anfang der achtziger Jahre um eine Organisation zur Betreuung von Aids-Kranken zurück. Man ist dann aber unter dem Druck der Verhältnisse sehr bald zu öffentlichen Aktionen übergegangen, damit ist „Act up“ also auch zu einer politisch orientierten Organisation geworden. Wir haben Demonstrationen gemacht, Happenings, wir haben öffentlich Kondome verteilt. Heute hat „Act up“ etwa 3.000 Mitglieder, von denen achtzig Prozent schwul und zwanzig Prozent lesbisch sind, aber es gibt auch einige Heteros darunter. Mittlerweile vertreten wir auch die Belange von Nicht -Schwulen in der Aids-Politik, zum Beispiel von Drogenabhängigen oder Farbigen.

Warum ist „Act up“ zu einer politischen Organisation geworden?

In Amerika gibt es keine staatliche Krankenversicherung. Wenn die privaten Krankenversicherungen den Verdacht hegen, daß du schwul bist, kriegst du keine Versicherung. Die Diskriminierung ist allgegenwärtig. Es gibt neue Medikamente, aber die Zulassungen werden verschleppt. Dagegen muß man sich organisieren, wir verlangen Zugang zu diesen neuen Medikamenten.

Siehst Du Unterschiede in der Diskussion über Aids in Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise den Vereinigten Staaten.

Hier in Deutschland gibt es solche Auffassungen wie das Recht zu lieben und zu sterben, wenn derjenige es eben so möchte. Das kann ich nicht akzeptieren. Wir können nicht warten, bis sich so langsam ein schwules Bewußtsein zur Aids -Verhütung ausgebildet hat. Wir können nicht nur beraten, wir müssen auch offensiv dort auftreten, wo der Sex gemacht wird, in der schwulen Sauna und im Sexkino.

Mit welchen Motiven bist Du nach Leipzig gefahren?

Ich gratuliere den Ostdeutschen zur Erlangung der Freiheit. Ich freue mich darüber, daß nun die Möglichkeit haben, ihr Schwulsein offen auszuleben und ihre eigene Kultur finden können. Aber ich wünsche, daß ihre Erfahrung der Freiheit nicht Aids ist.

Interview: Stefan Schwarz