Gleitmittel vor der Wiedervereinigung

In Leipzig ging am Wochenende das erste Aids-Benefiz über die Bühne / Rosa von Praunheims Aids-Trilogie vor den Augen der „negativen“ Besucherschar  ■  Aus Leipzig Stefan Schwarz

„Positiv reagiert“ hätte die um Solidarisierung ersuchte Leipziger Prominenz, berichtete die Bezirksfilmdirektionsöffentliche Sabine Steinmann dem Publikum. Des ersten Aids-Festivals zum Auftakt des Geschehens. Unten erscholl das Gelächter der „Negativen“ ob dieser ungewollten Doppeldeutigkeit. Der Saal des Filmkunsttheaters „Casino“ war randvoll mit (noch) Gesunden, denen Rosa von Praunheims Aids-Film Positiv den klinisch -distanzierenden Klang dieses Wortes abziehen wollte.

Der schwule Filmemacher, der mit seiner Aids-Trilogie gegenwärtig durch fünf bundesdeutsche Großstädte tourte, hatte einen Abstecher nach Leipzig gewählt, wo ein großer Teil der Aids- und Schwuleninitiativen der DDR ihren Sitz hat. Die Chancen der Aufklärung in der DDR (bislang 93 offiziell registrierte HIV-Positive) mögen noch bessere sein, doch seit der Öffnung der Grenzen sind auch diese im Schwinden begriffen.

„Arsch hoch und kämpfen“

Praunheims Film über die verzweifelten Kämpfe der New Yorker Schwulen gegen die allgegenwärtige Verdrängung der Bedrohung Aids (mittlerweile die Haupttodesursache der 20-40jährigen in New York) und für eine schwulenbezogene Forschung und Aufklärung verfehlte seine Absicht nicht. „Jeder Schwule, der nicht aktiv ist, hilft Schwule töten.“ und „Arsch hoch und kämpfen!“ heißt es in Positiv. Angesichts eines „rassistischen und schwulenfeindlichen Regimes und einer apathischen Bevölkerung“ in einem Land USA, wo es keine öffentlichen Krankenversicherungen gibt und die privaten Krankenkassen „Risikoträgern“ die Policen verweigern, gewinnt Praunheims Mißtrauen in eine bloß staatliche Aids -Politik in diesem Film zusätzliches Gewicht. Positiv zeichnet den Weg der Schwulen in ein Leben mit Aids, das nicht mit ignoranter Freizügigkeit bagatellisiert oder als „Strafe für ein unmoralisches Leben“ denunziert werden darf. „Aids ist unser Holocaust.“ sagen die Gays in New York. Ein Holocaust, von Menschen gemacht. Kein Schicksal.

Nach dem Film stehen Leipziger Aids-Aktivisten und Regisseur Praunheim auf der Bühne. „Hat jemand von euch schon mal ein Kondom gesehen?“, fragt Praunheim. „Ich glaube, daß geht einen Schritt zu weit.“, wirft Arzt Werner Stuber vorsichtig ein. Die öffentliche Diskussion ist womöglich noch nicht soweit. Protest im Saal. Praunheims Botschaft ist klar. „Es hat gar keinen Sinn, allgemeine Empfehlungen vom Typ 'Geh nicht mit fremden Männern!‘ zu geben. Wir müssen offen und präzise über Sex sprechen, um klar zu machen, wie allein eine Ansteckung möglich ist.“ Er holt noch einmal aus und artikuliert: „Arschficken ist gefährlich. Alles andere ist weniger oder fast gar nicht gefährlich. Und ohne vernünftige Kondome ist alles sinnlos.“

Am Kondom scheitert es nämlich. In der DDR gibt es Kondome, wenn überhaupt, nur mit Fettcreme versehen, aber die kann das lebensgefährliche Reißen der Gummihaut nicht verhindern. Die Einzelanfertigung von wasserlöslichem Gleitgel in Apotheken ist teuer und ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aus dem Publikum kommen Fragen, wie sich die bisherigen Vorteile der DDR bei der Aids-Bekämpfung (Inselstatus) halten lassen, ob eine inflationäre Aufklärung nicht auch das Verdrängen befördert. Detlef Hüttig von der Homosexuellen-Initiative Leipzig: „Das Operieren mit niedrigen Zahlen ist verantwortungslos. Die Aids-Aufklärung in der DDR ist durch das gespaltene Bewußtsein so schon erschwert. Reden und machen gehen auseinander. Die Leute wissen ganz genau, wie der Virus das Immunsystem knackt, aber nicht wie und wann ein Kondom aufgezogen werden muß.“

„Absolute Aufklärungsphase“

Die Kontroverse zwischen Praunheim und der Deutschen Aids -Hilfe, die auf dem Podium dieses Festivals erneut entfachte, konnten viele Besucher nur schwerlich nachvollziehen. „Wir wären froh, wenn wir überhaupt einen Aids-Apparat hätten. Wir sind in der absoluten Aufklärungsphase“, sagte Steffen Schüller von der Aids-Hilfe Leipzig.

Die Erfahrung mit dem DDR-Gesundheitswesen sind nicht gerade vielversprechend. Von der Homosexuellen-Initiative auf den Zahn gefühlt, erweisen sich viele Ärzte als unzureichend ausgebildet. Ein „Agent provocateur“, der sich anonym unter dem offiziellen Code-Wort einem Aids-Test unterziehen wollte, stieß auf völlige Unkenntnis bis Verwirrung und wurde bald zum öffentlichen Ereignis im Krankenhaus ehe er den Test absolvieren konnte. „Schwestern guckten um die Ecke.“ Darüber hinaus gibt es Hinweise auf Zwangstests, bei denen Personen, die wegen anderer Indikationen zum Arzt kamen, ohne deren Zustimmung und Wissen einer Aids-Überprüfung unterzogen wurden.

Die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens waren denn auch ein Kernpunkt in der Diskussion. Immer wieder der Hinweis darauf, daß der Staat sein Bürger zu schützen habe, und deshalb zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte ermächtigt sei. Der Verweis auf negativen Erfahrungen in anderen Ländern, wo das zu einer Isolierung der „Positiven“ geführt habe bis zur Einweisung in separate Lager, mochte da nur wenig sensibilisieren. Eher schon das Bewußtsein, daß bei Pflichttests viele Betroffende abtauchen würden. Die Bekämpfung der Seuche würde weiter erschwert, anstatt sie zur Aufgabe der Betroffenen selbst zu machen.

Einer, der betroffen ist, machte es vor. Michael Callen, New Yorker Aids-Aktivist der Schwulenorganisation „Act up“ und einer der am längsten überlebenden Aids-Infizierten der Welt. Er war mit Praunheim nach Leipzig gekommen, redete und sang. „Love is all we have, what we don't have is time.“ Während Praunheim über Kondome sprach, holte Callen, ganz „charming boy“, ein nämliches hervor, blies es auf, knotete es zu und warf es ins Publikum. Er sagte nicht viel. „Ich möchte kein imperialistischer Amerikaner sein, aber Aids kann Sie töten.“ Dann lächelte er.