14 Jahre Hofberichte: Beim NDR sollen Köpfe rollen

■ Regierungswechsel in Niedersachsen setzt Personalkarussell in Gang / CDU-Funkhauschef Stehling auf der Abschußliste

Einen Tag nach dem SPD-Wahlsieg in Hannover ließen einige Redakteure beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) ihren Gefühlen freien Lauf. In Sektlaune hefteten sich manche sogar eine rote Nelke ans Revers. Zwar hatte in 14 Jahren CDU-Regierung auch die SPD nach dem Parteienproporz einige Posten erhalten. Doch den Ton gaben im NDR-Funkhaus am Maschsee zusehends Parteigänger der CDU, in einigen Fällen auch der FDP, an. Nicht nur in Hannover habe bis hinunter zu einfachen Redakteuren die „richtige“ Einstellung mehr gezählt als die journalistische Qualifikation, sagt der Vorsitzende des NDR-Gesamtpersonalrats, Friedhelm Klinkhammer.

Ein krasses Beispiel für Hofberichterstattung habe ein Hörfunkredakteur noch in der Woche vor der Niedersachsen -Wahl geliefert. Eine Pressemitteilung der Regierungsparteien zu den Kosten der SPD-Wahlversprechen sei praktisch wörtlich verlesen, jedoch als Eigenbeitrag der Redaktion präsentiert worden.

Besonders gefragt sind in der NDR-Gerüchteküche zur Zeit Personalien. So gelten die Tage des Funkhauschefs in Hannover, Thomas Bernd Stehling (CDU),

als gezählt. Der Funkhauschef sei zumindest bisher stets ein Mann der regierenden Partei gewesen, sagt Reinhard Scheibe, Mitglied im NDR-Rundfunkrat und demnächst SPD-Staatssekretär in der Staatskanzlei in Hannover. Da Stehling, von Haus aus Jurist,

einen unbefristeten Vertrag habe, müsse er wohl nach Hamburg „weggelobt werden“ unken NDR-Mitarbeiter. Für seine Nachfolge kursieren ein halbes Dutzend Namen.

Auch an der Spitze der Hamburger NDR-Zentrale wird intern

bald mit einem Wechsel gerechnet. Die Meinung von Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), der CDU-nahe Intendant Peter Schiwy habe gute Arbeit geleistet, kann man bei der niedersächsischen SPD „so nicht teilen“ (Scheibe). Als Favorit für

die Nachfolge Schiwys gilt sein Stellvertreter Jobst Plog (SPD).

Doch geht es beim NDR nicht nur darum, ein paar Köpfe rollen zu lassen. Die IG Medien listete bereits ihre Wünsche für mehr Unabhängigkeit des NDR auf. Sie decken sich in vielem mit dem, was die Länderchefs Björn Engholm, Henning Voscherau und ihr künftiger Kollege, Gerhard Schröder, schon im vorigen Jahr vereinbarten. Bis zum nächsten Frühjahr wollen sie einen neuen NDR-Staatsvertrag verabschieden. Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien soll zeitgemäßer und vielfältiger werden: Beim NDR sollen künftig auch Kultur-, Frauen-und Umweltorganisationen vertreten sein.

Der kniffligste Punkt bleibt die Macht der Parteien im NDR, die auch künftig in den Gremien ver

treten sein wollen. Die IG Medien will mit einem Redakteursstatut die innere Rundfunkfreiheit stärken. Bei den Koalitionsverhandlungen in Niedersachsen pochen die Grünen darauf, die Rechte der einzelnen Journalisten zu stärken. Nach Ansicht des Grünen-Verhandlungsführers, Jürgen Trittin, ist dies der einzige Weg, um dem Einfluß von Staat und Parteien in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entgegenzuwirken. Denn manche NDR-Mitarbeiter sorgen sich, daß nun umgekehrt die SPD kräftig in den Sender hineinregieren könnte. Ein SPD-Sprecher witzelte unlängst. Seinetwegen könne im Funkhaus Hannover alles beim alten bleiben: „80 Prozent der Sendezeit für die Regierung, der Rest für die Opposition“.

Andreas Möser/dpa