Zille sein Jrab zwischen Efeu und blassen Kreuzen

■ Rund 30 km rechts und links des Teltowkanals nach Machnow / Vorbei an Neo-Burgen, Renaissance-Altären und verwunschenen Friedhöfen

Als Startpunkt für die heutige „Tour der kurzen Wege“ empfehle ich den schönen Jugendstil-Bahnhof Botanischer Garten. Durch die kleinsteingepflasterte ruhige Moltkestraße rollen wir bergab durch eine Siedlung, die sich Bismarck gewünscht hatte, und die der Hamburger Carstenn für ihn anlegte. Verzeihung, von Carstenn, er wurde 1873 geadelt, weil er dem Staat das Gelände für Hauptkadettenanstalt schenkte. Kleine Häuschen waren die Domizile für Offiziere der nahen Kasernen, die heute als Andrew-Barracks fortbestehen.

Natürlich sicherte sich der gewiefte Hamburger das schönste Grundstück: den Schloßpark Lichterfelde. Da rollen wir durch bis zum Teltowkanal, der in den ersten fünf Jahren dieses Jahrhunderts mit mehreren Millionen Goldmark erbaut wurde. Er ist rund 40km lang und verbindet die Havel mit der Oberspree, 60 Brücken mußten in seinem Verlauf errichtet werden. Zwischen 1945 und 1981 war er für die Schiff fahrt gesperrt.

An seiner breiten Promenade reihen sich die häßlichsten Großbauten Steglitzs auf: das Klinikum und das Tierversuchslaboratorium (Mäusebunker). Vergleichsweise wirkt das größte Kraftwerk West-Berlins am Barnackufer mit seinen 160m hohen Blechschornsteinen elegant. Zum Radeln ist es jedoch eine gute Strecke. Die meisten Brücken können ohne den Kontakt mit Autos unterfahren werden. (Wer eine alte Treidel-Lok und das Lilienthaldenkmal sehen will, muß mal kurz zwischen Bäkestraße und Königsberger Straße auf das östliche Ufer wechseln.) Dann folgt ein Stück Weges, das vom Gartenbauamt mit allen Mitteln für Radler unattraktiv gemacht wurde: Sperrgitter, Treppen, Rindenmulch, Verbotsschilder etc. Kaum sind wir auf Zehlendorfer Gebiet, wendet sich alles zum Wohle des Radlers, offizielle blaue Schilder, Asphalt, Parkbänke. Der Weg bietet freie Sicht nach beiden Seiten: links nach Teltow, rechts auf eine der letzten Zehlendorfer Wiesen. Doch der idyllische Blick auf Teltow täuscht, hinter dem schmalen Dorfkern ist eine häßliche Neubausiedlung und ein Industriegebiet entstanden. Wir bleiben deshalb noch kurz auf dem Westberliner Ufer. Bei der Teltowwerft müssen wir vorerst noch ein Stück vom Kanal weg. Am Übergang Machnower Straße schwitzen die Grenzer in Holzhüttchen, die aussehen wie eine finnische Sauna. Danach finden wir erst rechts, dann links der Philipp-Müller-Allee Radwege vor. Das erste Stück ist wohlgemeint mit Verbundsteinen belegt, die aber unebener sind als der feste Sandweg, den wir anschließend vorfinden. Die Betonindustrie wird es nicht gerne hören, aber ich fände es nicht richtig, alle Naturradwege der DDR zu versiegeln.

Unser Weg führt nach einem kleinen Wäldchen auf unser erstes Ziel außerhalb Berlins: die Hakeburg. Noch hängen die Verbotsschilder am pompösen Eingang, die einst das gemeine Volk fernhielten. Heute will Kind und Kegel mal gucken und läuft hoch zur Neo-Burg aus diesem Jahrhundert, überholt von den blauen BMWs aus München und den schwarzen Daimlern aus Bonn. Auf dem Hügel angekommen stellt man fest: Alles ist schon wieder fest in der Hand der Oberen, eben jener, die da soeben vorbeirauschten.

Wer sich am Pomp der falschen Burg sattgesehen hat, kann eine Runde durch das traumschöne Seegrundstück drehen, indem er hinten aus dem Schloßhof rausfährt und dann links abbiegt zum See. Dort existiert ein schmaler Weg, der weder rechts noch links Anschluß hat. Wer es sich zutraut, schultert sein Rad und kraucht durch die Lücke im Zaun. Wem das zu umständlich ist, der rollt wieder runter zum Eingang. Am Ostufer des Machnower Sees kurz vor der Friedensbrücke treffen sich beide wieder. Die Brücke ist mit einem Eisenstrang effektiv verkehrsberuhigt: Nur Fußgänger und Radfahrer kommen rüber. Von der Brücke kann man am westlichen Ende des Sees die Machnower Schleuse sehen. Am Südufer des Sees liegt die große Dorfkirche aus dem 16. Jahrhundert. Die Kirche ist zu besichtigen. Der Renaissancealtar ist bemerkenswert. Gegenüber dem Haupteingang sind noch die Reste eines Portals erhalten. Der alte Besitz der Hakes brannte im Weltkrieg ab. Weiter hinten im Park findet man noch Überreste der feudalen Herrschaft. Einzig wieder rekonstruiert wurde die Mühle aus dem 17. Jahrhundert.

Jetzt beginnt das zweite Stück mit schlechter Wegstrecke: die Allee am Forsthaus bis zur Schleuse. Über die Alte Potsdamer Landstraße erreichen wir unser heutiges Hauptziel: Die beiden verwunschenen Waldfriedhöfe von Berlin. Der nördliche ist der Wilmersdorfer und der südliche ist der Südwestfriedhof. Beide sind vom Zustand her einem Geisterwald ähnlich. Efeu rankt um die dunklen Schäfte der Kiefern und von Zeit zu Zeit ragt ein blasses Kreuz durchs Dickicht.

Wer bekannte Namen lesen will, ist auf dem südlicheren Friedhof besser dran: Corinth, Humperdinck, Langenscheidt, Murnau, Siemens und Zille sind nur eine Auswahl. Es lohnt sich das Rad gleich an der Stange vor der Friedhofskneipe anzuschließen und einen Rundgang zu machen. So verwunschen würdevoll und transsilvanisch sind deutsche Friedhöfe selten.

Als Rundgang empfiehlt sich der Hauptweg zur Kapelle. Das Grab Murnaus leuchtet nach einigen Metern rechts durchs Gebüsch. Die „Kapelle“ sieht aus wie eine norwegische Holzkirche. Kurz danach links liegt die flache aber monumentale Grabstätte Werner von Siemens. Ganz anders der bescheidene und verwunschen gelegene Naturstein für Heinrich Zille.

In der Gaststätte kann man noch billig essen, aber das Eis ist schon teuer, es stammt aus dem Westen.

Für die Rückfahrt können wir bis zur Schleuse wieder die alte Landstraße nehmen. Wer noch mehr Entdeckergeist hat, fährt zwischen dem Wilmersdorfer Friedhof und einem militärischen Übungsplatz auf einem anfangs asphaltierten Weg Richtung Autobahn. Nach einiger Zeit trifft man dabei auf eine monströse Panzersperre, die sich aber mit dem Rad einfach umfahren läßt. Kurze Zeit später überquert unser Weg die Autobahn, ohne Brücke oder Zebrastreifen. Wir sollten ihm jetzt nicht mehr folgen, sondern neben der Betonpiste an den Kanal fahren. Ein kleiner holpriger Pfad führt uns zurück bis zur Machnower Schleuse. Nix für Rennräder, aber der Blick auf die seltene, alte Schleuse, die keine Drehtore sondern Hängetore mit Gegengewichten hat, entschädigt.

Die Rückfahrt erfolgt dann am ruhigsten durch den Schleusenweg nach Norden bis zur Straße An der Stammbahn und über den Übergang Benschallee. Wer zur S-Bahn möchte, erreicht diese am schnellsten über die Lindenthaler Allee am Mexiko Platz. Übrigens auch wieder ein wunderschöner Bahnhof.

Axel von Blomberg