DIE GUTEN KINDER

■ „Klaus und Erika Mann - Bilder und Dokumente“ - eine Ausstellung im Literaturhaus Fasanenstraße

In der dunkel getäfelten Eingangshalle des Literaturhauses stellt die Ausstellung Klaus und Erika Mann - Bilder und Dokumente die Geschwister erst einmal mausoleumsartig vor, mit biographischen Lebenstafeln und großen Fotos, die das Paar vertraut nebeneinander zeigen. Die Ähnlichkeit der beiden ist verblüffend, sie könnten Zwillinge sein. Aber Erika Mann wurde als ältestes Kind von Katja und Thomas Mann 1905, ein Jahr vor Klaus, geboren. Beide haben ihr Haar kurz zur Seite gescheitelt, halten Zigaretten, tragen weiße Hemden, schauen in die gleiche Richtung. So wie Klaus Gesicht zum Weichen, „Weiblichen“, neigt, zeigt Erikas „männlich“ herbe Züge.

Doch Erikas Blick ist fester. Je älter die beiden werden, die Ausstellung dokumentiert es, desto mehr organisieren sich Erikas Züge zu einer strengen Klarheit, während Klaus Augen unter der höher werdenden Stirn verschleiert bleiben. Erika überlebte Klaus um Jahre. Ihr Bruder starb 1949 in Cannes nach mehreren gescheiterten Selbstmordversuchen an einer Überdosis Schlaftabletten.

Im ersten Raum wird die Familie vorgeführt: Der weit verzweigte Senatorenclan Mann, zu deren berühmtesten Vertreter Thomas die Geschwister stets ein ehrfurchtsvoll distanziertes Verhältnis hatten. Die Erziehung von dessen Kindern, Klaus, Golo, Monika, Michael und Elisabeth - auf den Bildunterschriften im Literaturhaus immer in der Reihenfolge vertauscht - blieb ganz der Mutter überlassen. Ein späteres Foto zeugt von der Beziehung der Mutter und Sohn Klaus: Sie sitzen auf einer Bank, Klaus scheint zukunftsfreudig aus dem Bild stürmen zu wollen, und Katja Mann blickt zurückgelehnt prüfend, aber doch ganz zufrieden auf ihr Produkt.

Das großbürgerliche Elternhaus machte aus den Kindern, was sie werden sollten: polygotte Intellektuelle. Bei bester Bildung und allen erdenklichen Freiheiten wuchsen sie auf den Schößen von Schriftstellern, Theaterleuten und Musikern auf, die im Hause Mann ein- und ausgingen. Onkel Heinrich hatte gerade mit seinem Untertan den großen Durchbruch geschafft, 1929 erhielt der Vater den Nobelpreis für die Budenbrooks. Ihr Nachname öffnete den Kindern Bühnen und Verlage. Das hatte auch seine Nachteile: „Wäre ich weniger jung und blöd gewesen, ich hätte mehr Zurückhaltung geübt. Alles schien so leicht und glatt zu gehen, wie im Spiel, wie im Traum“, erinnerte sich Klaus Mann später und strampelte immer noch, um aus dem Schatten des Vaters herauszukommen.

Geld genug für Weltreisen mit anschließender schriftlicher Verwertung war irgendwie immer vorhanden. Kontakte zu europäischen und amerikanischen Intellektuellen ergaben sich wie von selbst, ein Umstand, der sowohl Klaus als auch Erika nach ihrer Emigration 1933 sehr half. Die französische Sprache bereitete ihnen im Gegensatz zu so vielen schreibenden Emigranten keine Schwierigkeiten, noch weniger die englische. Erika Mann gründete in der Schweiz ihr politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“. In den USA scheiterte das Projekt. Als Vortragsleserin machte sie weiter. Die Ausstellung zeigt ihre in Vergessenheit geratenen Arbeiten, Erika Mann als Kriegsberichterstatterin, als Verfasserin von Kinderbüchern und Sachliteratur wie Zehn Millionen Kinder - Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich. Wer allerdings vorher nicht wußte, was sich hinter den ausgefallenen Buchdeckeln verbirgt, wird auch nach dem Blick in die Vitrinen kaum schlauer geworden sein.

Klaus Mann, ohnehin viel bekannter als seine Schwester, dominiert die beiden Räume. Er ist mit all seinen Aktivitäten vertreten, mit der Exilzeitschrift 'Die Sammlung‘, die er im Amsterdamer Querido-Verlag herausgab, und mit Decision, einer deutsch-amerikanischen Ansammlung illustrer Namen von Huxley bis Sartre. Seiner politischen und literarischen Entfaltung im Exil widmen sich mehrere Kästen, die die Enstehung von Symphonie pathetique und Mephisto dokumentieren. Entstehungs und Rezeptionsgeschichte des Schlüsselromans, der keiner ist, sind allerdings zu weitläufig, als daß sie im Literaturhaus Platz finden können. Man behalf sich mit einem Trick: Am Ende der Mephistogeschichte steht Eberhard Spangenbergs Dokumentation Karriere eines Romans - wer mehr wissen will, lese selbst.

Die vermeintliche Sicherheit, mit der das Exilwerk von Klaus präsentiert wird, scheint schnell vergessen machen zu wollen, daß Klaus Mann während dieser Zeit sich von der eigenen privaten wie von der politischen Situation in Europa immer wieder in Wechselbäder von verzweifeltem Produktionsdrang und schweren Depressionen stürzen ließ. Eine kleine Fotoserie zeigt den sonst so ernst Dreinschauenden noch einmal, wie er über einen Witz herauslachte - dann ist er auf einmal tot.

Den Drogenkonsum und die vielen unglücklichen schwulen Lieben von Klaus Mann verschweigt die Ausstellung verschämt. Dabei bliebe ohne beides von seinem autobiographisch geprägten Werk nur die Hälfte. Und gerade die Schwulen und die Morphinisten in seinen Romanen begründeten nicht zuletzt die Klaus-Mann-Renaissance Anfang/Mitte der achtziger Jahre, als der Rowohlt-Verlag sich entschloß, das Gesamtwerk Manns neu herauszugeben. Mit Auszügen aus den Tagebüchern, deren ersten beide Bände 1989 von der Edition Spangenberg erstmalig veröffentlicht wurden und auf die sich die rezensierende Welt mit Wonne stürzte, hätte die Ausstellung wahre Pionierarbeit leisten können. Homosexualität in der Bellestristik ist immer noch keine Thema der Literaturwissenschaft, auch wenn die Klaus-Mann-Forschung hier langsam vorwärts kommt, und der Einfluß von Drogen auf Literatur ist ein noch unbeackertes Gebiet - für die Ausstellungsmacher vielleicht ein zu weites Feld.

Die Dokumentation der Vertrautheit der Geschwister geht in der Ausstellung während der Beschäftigung mit dem Exil verloren. Sie bestand jedoch weiterhin, auch wenn die beiden sich nur ab und an auf Vortragsreisen durch die USA trafen. Erst in Erikas Korrespondenz mit alten Freunden nach dem Tod ihres Bruders wird deutlich, daß eins ohne das andere sehr alleine war.

Claudia Wahjudi

Bis zum 3.Juni im Literaturhaus, Fasanenstr. 23, 1/15.