Rot-Grün darf kein Experimentierfeld sein

■ Koalitionsparteien haben neue politische Kultur entwickelt / Rot-grüne Politik ist nicht gescheitert, hat aber auch keinen Zuwachs an Akzeptanz erzielt / Auch die SPD ist nicht zufrieden: Sie muß stärker an Richtungsentscheidungen mitwirken

Man stiftet keinen Pokal für das bisher längste rot-grüne Bündnis, um ihn gleich darauf auf den Müllhaufen gescheiterter Koalitionen zu werfen. 14 Monate Rot-Grün in Berlin haben für viel Abwechslung gesorgt. Berichterstatter und Kommentatoren sind auf ihre Kosten gekommen. SPD und AL waren sich selten von Anfang an einig - das hatte auch keiner erwartet -, meist streitbare Partner - das hatten sie sich gegenseitig versprochen -, aber leider viel zu oft heillos zerstritten - das freut die Opposition.

Dennoch oder gerade deshalb sehe ich einen Ansatz zu einer neuen politischen Kultur zwischen zwei Parteien in Regierungsverantwortung, der nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte. Offene, aber provokative Kontroversen sind mir allemal lieber als eine dröge Koalitionsdisziplin, die den Minimalkonsens als die allein denkbare Politik zu verkaufen sucht.

Wenn Peter Lohauß aber schreibt, die SPD verfolge auf der ganzen Linie eine Politik gegen rot-grüne Interessen, so wird er nicht nur den Beweis dafür schuldig bleiben, sondern sich auch fragen lassen müssen, welches Interesse er mit dieser Falschmeldung verfolgt. Die Antwort gibt er selbst: die unterschiedlichen Interessengruppen in der AL sollen zum gemeinsamen Handeln gebracht werden, damit die AL aus der Gefahr herauskommt, in eine Sekte zu zerfallen. Das Ziel ist ehrenwert, die Methode nicht.

Rot-Grün darf nicht als Experimentierfeld angelegt werden mit einer Zwei-Millionen-Stadt experimentiert man nicht. Schon gar nicht darf es als Abenteuer verstanden werden. Auch der Begriff eines rot-grünen „Projekts“ stört mich, weil er sich mehr nach Politologie als nach Politik anhört. Wer experimentieren will, sollte sich ins Polit-Labor zurückziehen; wer das Abenteuer sucht, muß von SPD/AL bitter enttäuscht werden; wer an ein Projekt denkt, wird erkennen müssen, daß eine Stadt mehr ist als ein Projekt. Wer aber rot-grüne Politik für Berlin machen will, muß deren Mehrheitsfähigkeit im Auge behalten, und die beweist sich weder auf dem Landesparteitag der SPD noch auf der MVV der AL, sondern ausschließlich bei der Auszählung der Wählerstimmen. Aus dieser Sicht ist rot-grüne Politik (noch) nicht gescheitert, aber sie hat auch keinen Zuwachs an Akzeptanz erzielt. Bei den nächsten Wahlen wird Rot-Grün als Team entweder bestätigt oder abgewählt. Ich will, daß es bestätigt wird.

Birgit Arkenstette wirft der SPD am Beispiel Potsdamer Platz und Daimler-Benz „demokratische Stadtplanung“ als wohlfeile Lüge vor. Zugegeben, der Zeitplan des Senats wurde erst durch die hochgehende öffentliche Debatte gekippt, aber er wurde gekippt. Die gleichzeitige Entscheidung des Senats, den ehemaligen Potsdamer Personenbahnhof als Grünfläche gestalten zu wollen, wird von denselben Kritikern nicht in Frage gestellt, sie entspricht ja auch ihren eigenen Zielvorstellungen. Bürgerbeteiligung soll Informationen für die Abwägung der öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander liefern und nicht die parlamentarischen Entscheidungsprozesse ersetzen. Sonst müßte die Politik auch dem widersinnigen Ruf „baut mehr Wohnungen - aber nicht bei uns!“ nachgeben. Hier erweist sich, wer wirklich Willens ist, Gesamtinteresse und Einzelinteressen abzuwägen und dann zu entscheiden, denn Kommunalpolitik ist nun mal auf Entscheidungen und deren Umsetzung angewiesen.

Peter Lohauß weiß die AL in einer Zerreißprobe und in Gefahr, zur Sekte zu zerfallen. Die Gefahr sehe ich auch, fürchte aber nicht so sehr das frühe Ende einer Partei, der ich nicht angehöre, sondern den Verlust eines wichtigen Elements im politischen Spektrum der Stadt. Neben der guten, alten SPD, der bieder-konservativen CDU, den dümmlich -reaktionären Reps und den in Berlin schon fast vergessenen Liberalen braucht die Stadt eine Partei wie die AL. Aber es muß eine Partei sein, die sich zur Wahl stellt, um mitzuregieren, kein Debattierzirkel, der sein Heil am liebsten in der Opposition und allerhöchstens in der Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung sucht. Wer aber nur tolerieren und nicht koalieren will, versucht andere zu waschen, ohne sich selbst naß zu machen.

Lohauß erwartet einen Differenzierungsprozeß in der AL über die Auseinandersetzung mit der PDS. Die PDS ist für mich keine demokratisch-sozialistische Alternative, sondern der verzweifelte Versuch, die Verbrechen der SED an Mensch und Natur der DDR im Eiltempo vergessen zu machen und gleichzeitig das enorme Vermögen der SED in die neue Zeit hinüberzuretten. Über diese beschämende Strategie kann auch die intelligente Taktik des Herrn Gysi nicht hinwegtäuschen.

In der AL werden Stimmen laut, die Nachverhandlungen zur Koalitionsvereinbarung fordern. Es mag ja sein, daß manches überholt ist, aber jetzt ist nicht die Zeit zum Nachverhandeln. Jetzt muß gehandelt werden, damit die Berlinerinnen und Berliner am nächsten Wahltag eine Entscheidung für Rot-Grün treffen können. Daß es sehr bald Gesamtberliner Wahlen geben wird, steht fest, Kanzler-Eile hin und Oppositions-Weile her. Trotz Schwierzina und Momper, Berlin ist per se keine sozialdemokratische und schon gar keine rot-grüne Stadt. Wer rot-grüne Politik wirklich mehrheitsfähig machen will, muß sich schnellstens auf eine Goodwilltour durch alle Kreise der Bevölkerung machen.

In einer Identitätskrise wie die AL befindet sich die SPD nicht. Aber zufrieden mit sich, der Fraktion und der Regierung ist die Berliner SPD auch nicht. Eine von drei gleich starken Säulen wollte sie sein, ist sie aber nicht. Dieses Bild wird bestätigt durch einen Landesvorsitzenden, der als Regierender Bürgermeister ein nur schwer steuerbares Senatsboot durch politisches Wildwasser manövriert. Wenn Walter Momper spricht, redet der Regierende Bürgermeister, obwohl die Partei ab und zu auch mal ihren Landesvorsitzenden hören möchte. Der Regierende Bürger -Vorsitzende ist Landes-Meister im Durchsetzen des eigenen Willens und wird deshalb weiter die Doppelrolle des Vorsitzenden Walter und des Regierenden Momper ausfüllen. Die Hauptrolle des Regierenden ist mit ihm hervorragend besetzt, die des Vorsitzenden droht zur Statistenrolle zu verblassen.

Unsere Partei muß stärker als bisher ihre eigentliche Aufgabe erfüllen, nämlich die grundsätzlichen Richtungsentscheidungen vorzubereiten, zumindest aber mitzugestalten. Nicht gegen Fraktion und Regierung, sondern mit ihnen. Es muß wieder die tägliche Erfahrung der zigtausend Mitglieder genutzt werden, damit die SPD nicht am Fühlen und Wollen der Bevölkerung vorbeiredet und -handelt.