Hammer und Zirkel haben ausgedient

■ Gestern fand die erste Beratung der neuen Ostberliner Stadtverordnetenversammlung im Roten Rathaus statt / Vorsteherin der Versammlung wurde Christine Bergmann (SPD) / Fraktionen Bündnis 90 / Grüne und PDS kritisierten den Entwurf der Geschäftsordnung

Ost-Berlin. Auch das Wappen ist ein anderes geworden. Bei ihrer gestrigen ersten Zusammenkunft sahen sich die am 6. Mai gewählten Abgeordneten des Berliner Stadtparlaments im Abgeordnetensaal des Roten Rathauses dem Berliner Bären gegenüber. Vor einem Jahr, nach jener erst zu Beginn dieses Jahres aufgedeckten Wahlfarce, hing hier das DDR-Enblem: Hammer und Zirkel im Ährenkranz.

Zur ersten Sitzung der neuen, erstmals seit 1946 demokratisch gewählten Stadtverordnetenversammlung hatten sich neben noch geschäftsführenden Oberbürgermeister Dr. Christian Hartenhauer der regierende Bürgermeister von West -Berlin, Walter Momper, der Präsident des Westberliner Abgeordnetenhauses, Jürgen Wohlrabe, und weitere Politprominenz aus dem Westteil der Stadt eingefunden. Der 67jährige Prof. Moritz Mebel (PDS) eröffnete als ältester Abgeordneter die Beratung.

Dem abschließenden Bericht der Wahlkomission folgte der Akt der Konstituierung. Alle Abgeordneten wurden namentlich aufgerufen - mit 134 anwesenden von 138 gewählten Volksvertretern war das Gremium beschlußfähig. Nur 29 Frauen sitzen im Stadtparlament, wobei die - nach der SPD zweitstärkste - PDS-Fraktion mit 18 weiblichen Mitgliedern als frauenfreundlichste hervorsticht.

Zum ersten Streitpunkt wurde der von SPD- und CDU/DA eingebrachte Entwurf der Geschäftsordnung. Ingrid Köppe, Fraktionvorsitzende von Bündnis 90/Grünen, nahm die Lücken und Ungeschicklichkeiten des Papiers aufs Korn. Sie monierte, daß der Entwurf offensichtlich vom Westberliner Abgeordnetenhaus abgeschrieben ist. Sogar den Begriff „Abgeordnetenhaus“ vergaß man unter Paragraph 24 bei der Umformulierung in „Stadtverordnetenversammlung“ zu ändern. Die Verfahrensweise mit Mißtrauensanträgen gegenüber dem Magistrat sei nicht geregelt, so Ingrid Köppe, die unter Paragraph 40 angekündigten Richtlinien in Immunitätsangelegenheiten fehle ebenfalls.

Der Änderungsvorschlag von Bündnis 90/Grünen - im Präsidium, Ältestenrat und in den Ausschüssen solle jede Fraktion mit einem Grundmandat vertreten sein - wurde mehrheitlich abgelehnt. Es blieb bei der vorgeschlagenen Sitzverteilung in diesen Gremien nach Fraktionsstärke, wodurch kleine Fraktionen ausgegrenzt sind.

Auch die PDS übte Kritik an der vorgeschlagenen Geschäftsgrundlage für die nächsten Wochen. Die eigentliche Chance einer demokratisch gewählten Volksvertretung, als Legislative gegenüber der Exekutive (Magistrat) souverän zu sein, sei durch viele Formulierungen zugunsten des Oberbürgermeisters und Magistrats beschnitten, erklärte Fraktionsvorsitzender Dr. Peter-Rudolf Zotl. Außerdem werde der Stadtverordnetenversammlung Beschlußfähigkeit über Gesetze zugebilligt, die immer noch allein der Volkskammer gehöre.

Man einigte sich schließlich darauf, nach dieser Geschäftsordnung als einer vorläufigen zu arbeiten. Bis zum 30. Juni müssen die Fraktionen der SPD und CDU/DA eine überarbeitete Fassung vorlegen.

Als Stadtverordnetenvorsteherin wählten die Abgeordneten die einzige Kandidatin, Dr. Christine Bergmann (SPD). In ihrer Antrittsrede erinnerte sie an die letzten freien Wahlen im Jahre 1946, an die Wahlfarce der vielen dazwischen liegenden Jahre und appellierte an die Versammlung: „Politische Willensbildung von unten nach oben sollte uns Bedürfnis sein.“ Sie wies auf die dringenden Aufgaben hin, die das Stadtparlament nun rasch bewältigen muß: eine Verfassung für Berlin auszuarbeiten und die Einheit der Stadt „in vernünftiger Weise“ vorzubereiten.

Zu ihren Stellvertretern wurden Elke Herer (PDS), Eberhard Engler (CDU-Landesvorsitzender) und der Kammersänger Rainer Süß (SPD) gewählt. Auch die Wahl der fünf Beisitzer, die ebenfalls zum Präsidium der Stadtverordnetenversammlung gehören, ging en bloc glatt über die Bühne. (Bei Redaktionsschluß dauerten die Beratung noch an.)

su