Der Geist von Roland Garros

■ Ganz Frankreich blickt auf die French Open in Paris

P R E S S - S C H L A G Wer die diesjährigen French Open gewinnen wird, ist den meisten Franzosen eigentlich ziemlich egal. Hier mangelt es seit einiger Zeit ohnehin an dominierenden Spitzensportlern französischer Herkunft, sieht man einmal von einigen Radfahrern ab. Da ist es schon bemerkenswert, daß das Turnier rund um das Roland-Garros-Stadion in Paris zu den wohl beliebtesten Ballspektakeln bei den internationalen Tennisprofis zählt. Natürlich liegt das auch an dem beachtlichen Preisgeld, das in diesem Jahr auf satte 5.350.000 US-Dollar angehoben worden ist. Angesichts des bevorstehenden Grand-Slam-Cups im Herbst dieses Jahres in München ist dies allerdings schon wieder ein eher demütiger Betrag.

Etwa 1.100 Journalisten aus über 70 Ländern werden dafür sorgen, daß so ziemlich jeder Fernsehhaushalt auf der Welt die neuesten Nachrichten vom Turnier empfangen kann. Im Tennis geht es halt nicht mehr ohne Superlative, und wohl deshalb erwartet man in diesen Tagen, wie jedes Jahr, einen neuen Zuschauerrekord. Den eigentlichen Charme dieses zweiten Grand-Slam-Turniers des Jahres macht dies allerdings nicht aus. Es mag eigenartig klingen: die French Open sind ein nationales Ereignis ersten Ranges, und es ist eben diese Stimmung, die den Spielern und Funktionären in einer überaus herzlichen Woge französischer Gastfreundschaft entgegenkommt.

Vom Fußball sind viele Franzosen, wer mag es ihnen verdenken, in diesen Tagen, wo die WM ohne Frankreich vor der Tür steht, schwer enttäuscht. Und so können sie sich beruhigt auf das große Tennis-Ereignis stürzen. Daß sie es tun, belegen unter anderem folgende Zahlen: Roland Garros ist die meistbesuchte sportliche Veranstaltung in diesem Land; zwei von drei Franzosen werden es täglich in den Medien verfolgen; 62 Prozent der männlichen Zuschauer träumen davon, einmal mit Gabriela Sabatini auszugehen. Gleich dahinter, an zweiter Stelle, wer hätte das gedacht, folgt Martina Navratilova. Die weiblichen Tennisfans freilich bevorzugen ein Rendezvous mit Yannick Noah, der John McEnroe eindeutig auf Platz 2 der Träumerei verwiesen hat. McEnroe kommt ja ohnehin nicht, weil er verletzt ist oder so. Vielleicht hat er aber auch nur Angst davor, dem gleichen Schiedsrichter zu begegnen, der ihn im Januar in Melbourne frühzeitig nach Hause schickte.

Die große Party ist also schon im vollen Gang. Lustig wird sie allemal. Boris Becker, daran besteht bei Kennern der Szene kein Zweifel, wird bestimmt wieder nach irgendeinem Ballwechsel in die Loge von Jean-Paul Belmondo fliegen. Und sollte Hana Mandlikova wie im letzten Jahr ein Foto vom Arc de Triomphe schießen wollen, wird die französische Polizei auch diesmal dafür die halben Champs-Elysees absperren.

Möglich ist alles. Sicher ist nur, daß Becker und Noah auch in diesem Jahr im gleichen Hotel wohnen und von dort aus mit ihren Autos um die Wette zum Stadion fahren. Wer auch immer dieses Turnier gewinnen mag - wichtig und lustig ist gerade das, was drumherum geschehen wird. In Paris ist das eine ganze Menge.

Ralf Stutzki (Paris)