Manche Gefühle täuschen nicht

■ Wie der Fußballfan C. den Ligaverbleib seines heißgeliebten VfL Bochum erlitt

Bochum (taz) - Auch im Rückblick läßt sich sagen, daß uns in der Vorbereitung auf das Spiel kein wesentlicher Fehler unterlaufen war. Einfach ist das nicht. Was tun an einem Tag, an dessen Ende womöglich „der Sinn des Lebens auf dem Rasen zerbröselt“? Manche werden sagen, es sei zutiefst blödsinnig, die Sache so ernst zu nehmen, aber C. verzehrt sich nun einmal für den VfL Bochum. Unmöglich, ihn an einem solchen Tag allein zu lassen. Es waren also eher seelsorgerische rsp. krankenpflegerische Gründe, die mich am Sonntag zum Besuch im Ruhrstadion bewogen.

Eigentlich gab es für den Außenstehenden keinen richtigen Grund zur Sorge. In Saarbrücken wurde 1:0 gewonnen, und die Zeitung 'Revier-Sport‘, die ich am Morgen zu Stärkung fachlicher Kompetenz gekauft hatte, forderte im knappen Imperativ „VfL: Heute Sack zumachen!“ Aber C. klagte schon beim Kaffee über ein „schlechtes Gefühl“. Es gelang nur zeitweilig, dieses zu zerstreuen, weder beim leichten Mahl (indonesisches Huhn mit Reis) noch bei der leichten körperlichen Betätigung (Kicken auf der Schmechtingwiese) konnte C. seine Nervosität gänzlich ablegen. Mählich nur nahte der Abend, und nicht einmal das frühzeitige Aufsuchen vertrauter Umgebung und Gesichter nahe der Osttribüne brachte Besserung.

Wir trafen auf Klaus, der, obschon kaum über dreißig, seit dem Aufstieg des VfL vor neunzehn (!) Jahren nur vier Heimspiele versäumt hat, eine imponierende Bilanz. Es hätte mich interessiert, welch triftige Gründe zu diesen Absenzen geführt haben, aber auch Klaus klagte über ein „schlechtes Gefühl“, wer will da in alten Wunden bohren?

Gefühle täuschen nicht. In zunehmend kürzerem Zeittakt mußte sich C. Schweißperlen von der Nase wischen, und würde die Enge der Leiber auf den Stehrängen das Umkippen nicht verhindern, nach gut einer Stunde wäre C. weggesackt. Depression machte sich breit, die Sprechchöre klangen verzagt. Yeboah hatte die Blau-Weißen mit einem Kopfball tief in die Magengrube getroffen, und die verängstigten Spieler machten nicht den Eindruck, als könnten sie Klaus in eine zwanzigste Erstligasaison entlassen.

Später, bei Gesprächen in den Kneipen, hielt sich das Entsetzen über die miese Vorstellung mit der Freude über den Klassenerhalt die Waage. Leifeld wurde geschmäht trotz seines rettenden Tores, und Horst verlangte, mit einer Stange Bier wedelnd, vereinspolitische Flurbereinigung: „Der Ottokar, der Saftig, der Wüst, alle müssen wech.“ Das wäre ein Fehler. Wo gibt es noch in dieser Liga der Neureichen einen pastoralen Präsidenten wie Ottokar Wüst, der dem Gegner Lob zollt mit den Worten, Saarbrücken sei eine „gute, feine, deutsche Mannschaft“ gewesen? Das war eine halbe Stunde nach Abpfiff, und überrascht mußte ich feststellen, daß C. jetzt erst richtig anfing zu schwitzen, ein interessantes Phänomen.

Holger sagte, wir sollten mit zum „Drugstore“ kommen, „zum Singen“, weil in dem Lokal die Spieler feiern würden, und C. kickte einen Glasscherben über die Straße, um, wie er das nennt, „Hool-Punkte zu sammeln“. Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück.

-thöm Bochum: Wessels - Kempe - Oswald, Reekers - Ridder, Rzehaczek (87. Hubner), Wegmann, Dressel, Legat - Leifeld, Nehl (90. Ostermann)

Saarbrücken: Wahlen - Spyrka - Fuhl (75. Jelev), Hönerbach Eichmann, Geyer, Schlegel, Hach, Nushöhr - Krätzer (80. Schnurer), Yeboah

Zuschauer: 25.000, Tore: 0:1 Yeboah (50.), 1:1 Leifeld (77.)