Gorbatschow beruhigt die Massen

■ In einer Fernsehansprache verteidigt der SU-Präsident die Preiserhöhungen auf dem Weg zur Marktwirtschaft und kündigt umfangreiche Kompensationszahlungen für sozial Schwache an / Moskauer Ministerialbürokratie soll verkleinert werden

Berlin (dpa/taz) - Kurz vor seiner Abreise zum Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush hat der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow an die Bevölkerung der UdSSR appelliert, mit gemeinsamen Anstrengungen den Übergang zur Marktwirtschaft zu suchen. In einer 45minütigen Fernsehansprache versprach Gorbatschow am Sonntag abend, er werde seine Vollmachten als Präsident einsetzen, um den Übergang zur „regulierten Marktwirtschaft“ durch vorbereitende Maßnahmen für die sowjetische Gesellschaft erträglich zu machen.

Mit diesem Aufruf griff der Präsident der UdSSR in die sich verschärfende Diskussion um das reformierte Programm der sowjetischen Regierung ein, das Ministerpräsident Nikolai Ryschkow in der Vorwoche dem Obersten Sowjet der UdSSR vorgelegt hatte. Die Bekanntgabe von Preiserhöhungen bei der Einführung der Marktwirtschaft hatte im ganzen Land zu Hamsterkäufen geführt. Trotz der gegen die Hamsterkäufe getroffenen Maßnahmen bildeten sich auch am Montag lange Schlangen vor den Geschäften. Am Wochenende war von der Stadtverwaltung verfügt worden, daß bestimmte Güter nur noch an Personen verkauft werden dürfen, die in Moskau gemeldet sind und sich entsprechend ausweisen können. In anderen Gebieten, wie Leningrad und den baltischen Republiken, ist ein solches „Ausweisregime“ schon vor längerem eingeführt worden.

Gorbatschow stellte sich hinter das Konzept der Regierung, verlangte aber „Nachbesserungen“. So deutete er an, die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel müßten fixiert und unter staatlicher Kontrolle bleiben. Auch sprach er davon, daß die Löhne, Gehälter, Renten und Studienbeihilfen einem steigenden Preisniveau angepaßt werden müßten.

Der Präsident betonte, der Begriff „regulierte Marktwirtschaft“ bedeute in der UdSSR „die Sicherheit vor Arbeitslosigkeit und vor verschiedenen negativen sozialen Erscheinungen“. Mit der Gründung von Genossenschaften, dem Gesetz über das Eigentum, der Schaffung des Pachtsystems in der Landwirtschaft „ist in den vergangenen Jahren bereits das Fundament für den Übergang zur Marktwirtschaft geschaffen“ worden, sagte er.

„Bis zum Ende des Jahres wird eine Reihe von Gesetzen erlassen werden, um die Mechanismen für den Übergang zu schaffen“, meinte der Kremlchef. Er betonte außerdem, die sowjetische Gesellschaft sei „psychologisch“ auf die Einführung der Marktwirtschaft noch nicht vorbereitet. Deshalb habe sich die Führung nicht schon früher dazu entschlossen, nachhaltigere Schritte in Richtung Marktwirtschaft zu unternehmen.

Zur Finanzierung der durch die Kompensationen und Lohnerhöhungen entstehenden Kosten sagte Gorbatschow, die Verteidigungsausgaben und die Ausgaben für den Staatsapparat müßten „drastisch“ gesenkt werden. Das bedeutet nach Ansicht politischer Beobachter die Verkleinerung der Moskauer Zentralbehörden.