SPD-Ost will die Parteieinheit bald

Die Stimmung auf den Landesparteitagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg stand auf Einheit / In Berlin wurde die Vereinigung mit der West-SPD für den Herbst 1990 beschlossen / Eigene Kandidaten für den Parteivorsitz wurden nicht nominiert  ■  Von Brigitte Fehrle

Berlin (taz) - Geht es nach den Stimmen vieler Delegierten des SPD-Landesverbandes Sachsen, braucht der Sonderparteitag in Halle erst gar nicht zusammentreten. Die Genossen sind der Eigenständigkeit müde und wollen sich möglichst bald, im Herbst diesen Jahres, mit der Schwesterpartei im Westen vereinigen. Einen neuen Vorsitzenden, der die Nachfolge des im Frühjahr zurückgetretenen Ibrahim Böhme antreten soll, brauche man gar nicht mehr. In Brandenburg stellte gar der Bezirksvorstand den Antrag, den Vorsitz nicht mehr zu besetzten, wurde allerdings von der Basis zur Räson gebracht. Einheitsstimmung machte sich am Wochenende bei den Landesparteitagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg breit. In Berlin ist man gar mit einem Beschluß vorgeprescht. Mit nur einer Enthaltung taten die Delegierten ihren Willen zur Vereinigung mit der SPD in West-Berlin kund.

Den weiten Weg nach Halle können sich die Genossen der SPD -Ost also eigentlich sparen. Aus der mit Spannung erwarteten Personaldebatte über einen neuen Parteivorsitzenden, Hauptpunkt des Sonderparteitages, ist die Luft raus. Eigentlich ist nur konsequent, daß eine Partei, die ihre Eigenständigkeit aufgeben will, keine Leidenschaft mehr für einen neuen Vorsitzenden entwickelt. Die beiden vom Vorstand der Partei vorgeschlagenen Kandidaten, Pfarrer Timm aus Mecklenburg und Pfarrer Brinksmeier aus Berlin, sind deshalb auf ihrer Tingeltour durch die Landesverbände Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Berlin auf wenig Interesse gestoßen. Wenn sie gehofft haben, von einem der Bezirke oder Landesverbände noch ein zusätzliches Votum zu bekommen, wurden sie enttäuscht. Die Delegierten dachten gar nicht daran, einen der Vorstandskandidaten besonders zu unterstützen. Auch eigene Kandidaten stellten die neuen Landesverbände nicht auf.

Eine Ausnahme bildet nur Berlin. Hier waren die Delegierten durchaus der Meinung, daß sie einen eigenen, starken Vorsitzenden brauchen, „der uns in die Einheit führt“ (Geschäftsführer Hilsber). Gleich zwei eigene Bewerber wollten die Berliner den Vorstandskandidaten in Halle an die Seite stellen. Wolfgang Thierse (46) früher Schriftsetzer, heute Germanist an der Akademie der Wissenschaften und stellvertretender Fraktionsvorsitzender in der Volkskammer warb für sich. Neben ihm ein politischer Nobody, Hans Peter Seitz, Physiker und Ortsgruppenvorsteher vom Berliner Unterbezirk Buch, der nach eigenem Urteil „nicht das Profil von Walter Momper und Oskar Lafontaine“ hat. Daß am Ende des Parteitages keiner nominiert wurde und auch über die Vorstandskandidaten Timm und Brinksmeier nicht abgestimmt wurde, zeigt nicht nur das Chaos bei der Sitzungsleitung. Offensichtlich waren sich die Delegierten der Tatsache, daß die Nominierung eines Kandidaten für den Parteivorsitz eine Politische Entscheidung ist, in keiner Weise bewußt. „Wie wollen wir denn in Halle auftreten, wenn wir uns über die Kandidaten des Vorstands keine Meinung gebildet haben“, versuchte der Berliner Volkskammerabgeordnete Thomas Krüger die Delegierten davon zu überzeugen, daß sie ihr politisches Recht auf Diskussion und Meinungsbildung wahrnehmen sollten. Doch ohne Erfolg: Mit großer Mehrheit lehnten die Delegierten mehrmals entsprechende Anträge ab. Welchen der beiden also die Delegierten in Halle unterstützen sollen, blieb völlig unklar. Auch die Abstimmung über die beiden eigenen Kandidaten ging in die Hose. Keiner bekam die absolute Mehrheit. Wolfgang Thierse, der auch über Berlin hinaus auch von den Bezirken Potsdam, Frankfurt, Halle und Magdeburg Unterstützung zugesagt bekommen hatte, zog nach der chaotischen, vierstündigen Diskussion, entnervt und enttäuscht seine Kandidatur zurück. Über seine Vorstellungen zur Einheit, die „auch ein politisch inhaltlicher Prozeß sein muß“, und über seine Thesen zur unterschiedlichen Interessenlage von SPD-Ost und West, hatte keiner reden wollen.

Umso einiger allerdings war man sich in Berlin, daß die Parteien so schnell wie möglich wiedervereinigt werden sollten. Die gleichberechtigte Position, die die Ost-SPD im Augenblick dem West-Berliner Landesverband gegenüber einnimmt, wird dann vorbei sein. Denn daß Mitgliederzahl und Wahlergebnis in keiner ähnlichen Relation wie in West-Berlin steht, ist klar. Nur noch etwa 2.500 Genossen zählt man zwischen Weißensee und Köpenick. In Westberlin weist die Mitliederstatistik immerhin 26.000 aus. Der Parteivorstand ist von diesen Bestrebungen gar nicht begeistert. Noch vor kurzem hat der amtierende Vorsitzende Markus Meckel gesagt, vor Herbst wolle er darüber mit den West-Genossen gar nicht sprechen. Doch bis dahin soll in Berlin die Einheit bereits hergestellt sein. Das beschlossen die Delegierten einstimmig. Wenn eine Urabstimmung unter den Mitgliedern das bestätigt, wird es im Herbst nur noch einen Landesverband Berlin geben. Dem gemeinsamen Wahlkampf zu Gesamtberliner Wahlen im Dezember steht dann nichts mehr im Wege.