Kolumbianer votieren gegen die Mafia

■ Cesar Gaviria wird Präsident mit einer Kampfansage an die Drogenkartelle / Aus Bogota Ciro Krauthausen

Kolumbien wird weiterhin von den liberalen Familien regiert. Mit knapp 50 Prozent der Stimmen setzte sich am Sonntag Cesar Gaviria, der Schützling des amtierenden Präsidenten Barcos, gegen seine konservativen Kontrahenten durch. Die eigentliche Überraschung der Wahl lieferte die Ex-Guerilla -Bewegung M-19. Ihr Kandidat Navarro Wolf erreichte mit 12,7 Prozent den dritten Platz und holte sich damit den Lohn für den Verzicht auf den bewaffneten Kampf. Auch andere Guerilla -Gruppen geben sich verhandlungsbereit.

„Kolumbien hat gegen die Gewalt gewählt.“ Es war keine der bei Politikern so beliebten rhetorischen Floskeln, die da dem Sieger der Wahlen vom Sonntag, dem neuen kolumbianischen Präsidenten Cesar Gaviria, über die Lippen ging. Vielmehr umriß der Ausspruch die Realität eines Wahlkampfes, der in den letzten Wochen immer mehr zu einer Zitterpartie um das physische Überleben geworden war. Nachdem drei Präsidentschaftskandidaten ermordet wurden, explodierten in den Großstädten Dutzende von Bomben und vermehrten sich allerorts die Gerüchte über vermeintliche Staatsstreichpläne rechtsradikaler Verschwörer.

Die Kandidaten wagten sich kaum mehr aus ihren hermetisch abgesicherten Wohnungen heraus - wenn sie es doch taten, dann nur umringt von einer Hundertschaft schwerbewaffneter Soldaten und Polizisten. Allein, daß es unter diesen Bedingungen überhaupt zu Wahlen gekommen ist, erschien vielen als ein Wunder.

Der Wahltag selber war dann einer der ruhigsten Tage der letzten Wochen: keine Bomben, kaum Tote. Rund 200.000 Soldaten waren im Einsatz, um die Wahlen abzusichern. Trotzdem gingen, aus Angst vor Anschlägen, weniger Bürger als erwartet an die Urnen. Nach dem vorläufigen Endergebnis lag die Wahlbeteiligung bei nur 44,5 Prozent.

Die, die wählten, sorgten dagegen für Überraschungen. Cesar Gavirias Sieg fiel mit 47,3 Prozent weit niedriger aus, als noch vor einem Monat die letzten veröffentlichten Umfragen vorhergesagt hatten. Stimmen dürfte der neue Präsident vor allem an einen Mann verloren haben, dem am Wahlabend die Freude über den Erfolg im Gesicht geschrieben stand: Antonio Navarro Wolf, bis im März dieses Jahres noch Guerillakommandant der M-19.

Nie zuvor hatte die kolumbianische Linke auch nur annähernd soviel Stimmen erreicht wie die 12,7 Prozent Navarros, dem Nachfolger des ermordeten Kommandanten Carlos Pizarro. Die Rechnung der friedenswilligen Guerilleros der M-19, die erst vor zwei Monaten ihre Waffen niederlegte, ging auf: Militärisch waren sie unbedeutend, politisch sind sie zu der drittstärksten Partei Kolumbiens geworden. In der Ein -Millionen-Stadt Barranquilla sowie noch in zwei anderen Karibik-Städten überrundete Navarro sogar den nationalen Sieger Cesar Gaviria.

Ebenfalls hocherfreut war der konservative Spitzenpolitiker Alvaro Gomez. Im Clinch mit Parteichef Misael Pastrana hatte er mit seiner „Bewegung zur Nationalen Rettung“ und einem verwaschenen Diskurs über die Notwendigkeit der Moral seinen eigenen Weg gesucht. Mit 24,3 Prozent belegte er hinter Cesar Gaviria Platz zwei und boxte gleichzeitig den offiziellen konservativen Kandidaten noch hinter Antonio Navarro auf Platz vier.

Sichtlich erleichtert über den friedlichen Verlauf der Wahlen sah Präsident Virgilio Barco in einer Fernsehansprache optimistisch in die Zukunft. „Das Land hat sich geändert“, sagte er und meinte damit wohl einen möglichen Zusammenbruch des nun schon seit Jahrzehnten vorherrschenden Zwei-Parteien-Systems der Liberalen und Konservativen.

Parallel zu den Präsidentschaftswahlen sprachen sich über 90 Prozent der Wähler für den Aufruf zu einer verfassunggebenden Versammlung aus. Auf der Wahlparty der Liberalen in einem noblen Bogotaner Hotel verpflichtete sich Cesar Gaviria denn auch, die Verfassunggebende Versammlung einzuberufen sowie dem Ruf des Volkes nach Reformen nachzukommen. Als er verkündete, seine Regierung würde „eine historische Umwälzung der Institutionen“ anpeilen, wurde er von einem fast wütenden Zwischenrufer ermuntert: „Wir wollen Veränderungen.“ Die versprach Gaviria denn auch: „Laßt uns alle aufbrechen, die friedliche Revolution zu machen, die die Kolumbianer brauchen.“

Vorerst jedoch dürfte ein anderes Problem ganz oben auf der Prioritätenliste stehen: der von der Bevölkerung immer weniger mitgetragene Drogenkrieg. Gaviria dürfte nicht so sehr wegen seinem harten Kurs gegen die Drogenmafia Präsident geworden sein, sondern wegen seiner persönlichen Ausstrahlung. Trotzdem meinte Gaviria in seiner ersten Ansprache, der Drogenterrorismus müsse niedergemacht werden. Der „Drogenterrorismus“ wohlgemerkt. Denn in Bezug auf den „Drogenhandel“ nutzte Gaviria, der nun am 7. August Präsident Barco ablösen wird, die Anwesenheit einer ganzen Schar von ausländischen Journalisten, um ein Wörtchen an die internationale Öffentlichkeit zu richten: „Der Drogenhandel ist ein multilaterales Problem, und die Konsumenten-Länder tun nur wenig, um es zu bekämpfen. Rhetorische Unterstützung und die Anerkennung, daß wir Kolumbianer nicht Komplizen sondern Opfer des Drogenhandels sind, reichen nicht aus. Die Diskriminierung unserer legalen Export-Produkte muß beendet und Unterstützung auf Handelsebene geleistet werden.“ Sein Wort in Bushs, Thatchers und Kohls Ohren!