Drama Familie

■ Als Mäuschen auf der ersten Durchlaufprobe von Johann Kresniks „Familiendialog“

Ist der Kerzenleuchter jetzt zu sakral oder nicht? Die Inspizientin fragt sogar die schaudernd vor Proben -Authentizität kerzengrade sitzende taz-Reporterin, der nichts besseres einfällt als zurückzufragen „in welchem Zusammenhang jetzt?“. Da hätte ich nun entscheidend eingreifen können und später behaupten, der Kerzenleuchter in Kresniks „Familiendialog“ sei nach meinen Vorschlägen umgetauscht worden, verpasse aber durch Geistes Ungegenwart diese Chance. Die Inspizientin beschließt nach Brainstorming mit den Kollegen, den dreiarmigen gegen zwei einarmige Kerzenhalter auszuwechseln. Ja, das finde ich gut. Was ist aber mit der Sektflasche - entkorken oder nicht entkorken? Noch ist mir zum Lachen zumute.

Die Bühne, auf die man im Concordia herunterschaut, gleicht einer Ruhe-nach-dem-Sturm-Landschaft. Überall häufelt, steht, hängt, lehnt, liegt was immer da, wo es möglicherweise hingehört: Schuhberge, Plakatwände, Kreissägen, KZ-Uniformen, Vitrinen, auf dem Boden übersät liegende Kleider - Kostüme? Das Auge hastet nervös die Gegenstände ab in diesem schwermütigen Dimmerlicht, ringsherum Tunnel-Schwärze. Und wie in einer düsteren Schneekugel stieben schon überall TänzerInnenflocken und scheinen sich ordnungsgemäß unzuordnen, ein Schnuffel-Hund muß noch entfernt werden, da kommt er. Nein, nicht wie ein Maestro, sondern wie eine Mischung aus Tausendsassa und Energiestilzchen, das sofort weiß, was es will. Beleuchter bitte! Mehr Licht auf die Vitrine: Aha, das sind 40 Watt; aha, das sind 50 Watt, also doch nur 40 Watt.

„Familiendialog“, das Tanzspiel, das Kresnik aus Heidelberg mitgebracht hat und das eines seiner erfolgreichsten und grundlegendsten Stücke war mit ca. 250 Auführungen, handelt von dem Drama Familie. Angelegt im Nachkriegsdeutschland, gültig bis heute. Also pseudoharmonische Ehe, trauerunfähig, kindliche Vasallentreue bis daß der Freitod von den Eltern scheidet. Das Wort Familienbande hat mehr Tragik als den Karl-Kraus'schen Anflug von Wirklichkeit.

Das Spiel in den nächsten knapp zwei Stunden geht an die Nerven, das kann man erwarten. Kreissägen-Preßlufthammer -Symphonien reißen die Luft in Stücke, drei Paare drehen sich mehr gegen- als umeinander: Großmutter mit Schürze und Großvater mit Pickelhaube, Vater und Mutter, lebendig wie Wachsfiguren; nur Brüderchen und Schwesterchen halten sich aneinander umarmend fest und sind wie Hänsel und Gretel eine Solidargemeinschaft. Im Vordergrund gedeckt, dräut damastfeierlich die Tafel für eine trostlose Familienfeier, man könnte in die Kaffeetasse spucken, so nah. Im Hintergrund ein Volk wird befehligt. Marschiert.

Kresnik sitzt angespannt, seine Assistenten machen sich für ihn Notizen, Brüderlein Joachim Siska hat in Wirklichkeit Grippe und muß doch tanzen wie um sein Leben und mit Stühlen gegen den Vater kämpfen. Die Gewalt ist nicht unterschwellig, sondern überall, zwangsläufig, während der Großvater aus der Bildzeitung vorliest. Das Schauerspiel kommt seinem Ende entgegen. Kein Schutz, nirgends. Danach Manöverkritik.

In dieser Szene die Gesichter bitte „etwas verzerrter“, ordert Kresnik, und für den Großvater: „Am Schluß nicht mehr lachen.“ Dies ist noch zu leise, jenes verzögert, manches flacher, knapper bitte. Und dran denken: Den Puppen, die zersägt werden, vorher die Glasaugen rausnehmen. Glas zerspringt doch. Claudia Kohlhas