„Jenseits dessen, was erlaubt ist“

■ Den Bezirken fehlen mindestens 220 LehrerInnenstellen / Die Folge: immer größere Klassen - und immer weniger Unterricht / Interview mit Spandaus Volksbildungsstadtrat Sigurd Hauff (SPD)

Spandau. Sigurd Hauff, sozialdemokratischer Volksbildungsstadtrat in Spandau, hat sich mit einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) gewendet. Dort schreibt Hauff: „Die bisherige Bereitschaft des Senats, Verschlechterungen in den Schulen selbst zu schaffen, zwingt mich, Ihnen zu schreiben.“ Die taz fragte nach, warum ein SPD-Volksbildungsstadtrat die Senatspolitik kritisiert.

taz: Herr Hauff, wie schlecht muß die Situation an Spandaus Schulen geworden sein, damit Sie sich an den Regierenden Bürgermeister wenden?

Sigurd Hauff: Der Hintergrund sind gravierende Benachteiligungen. Der erste große Schlag war im Herbst, als in West-Berlin 440 Stellen erforderlich gewesen wären - wir aber nur 220 Stellen zugestanden bekommen haben. Das bedeutet, daß wir die unbesetzten 220 Planstellen aus anderen Quellen finanzieren müssen.

220 unbesetzte Planstellen - was bedeutet das für Spandau?

Die Klassenfrequenzen müssen erhöht und die Stundentafel muß gekürzt werden, ohne daß wir zusätzliche Lehrerstunden bekommen.

Wieviel Schüler haben Sie in Ihren Klassen mehr?

Das ist sehr unterschiedlich. Der Zulauf von Aus- und Übersiedlerschülern verteilt sich in Berlin und auch innerhalb eines Bezirks sehr unterschiedlich. Aber, um mal ein Beispiel zu nennen, in Siemensstadt ist eine Grundschule, in der zwei Klassen 34 Schüler haben. Das ist eigentlich jenseits dessen, was erlaubt ist.

Was soll der Senat anders machen?

Worum es mir geht - deshalb habe ich für die nächste Woche eine Sondersitzung der Stadträte für Volksbildung beantragt

-ist, daß wir zum neuen Schuljahr im August die Lehrerstellen kriegen, die wir wirklich brauchen.

Wieviel sind das?

In Spandau haben wir gerade acht Stellen zugebilligt bekommen. Gleichzeitig haben wir erfahren, daß auch die Lehrerstellen zur Sparquote herangezogen werden sollen (Anm. d. Red.: Die Bezirke sollen 0,55 Prozent ihrer Stellen einsparen). Das kann kein normaler Mensch mehr verstehen. Das ist auch der Grund, warum ich an meinen Parteifreund Momper geschrieben habe. Das ist keine Frage mehr von Parteipolitik.

Die Senatsverwaltung für Schule prophezeit, daß die Situation in den Schulen noch schlechter werden soll: weiterhin Aus- und Übersiedler und die Raumprobleme durch asbestverseuchte Schulgebäude...

Das gute Bemühen des Senats soll nicht in Frage gestellt werden, aber er hat keine konsequente Handlungsweise zu bieten. Seit Oktober sind in Spandau 300 Schüler mehr aufgetaucht - das ist in der Größenordnung einer Grundschule.

Wo soll der Senat das Geld hernehmen, um die geforderten Lehrerstellen zu bezahlen?

Jetzt kommen wir zum Kern des Problems. Ich kann vollkommen verstehen - ich billige geradezu -, daß der Senat sparsame Haushaltspolitik macht. Aber dann soll er es nicht den Zufällen in den Bezirken überlassen, wo gespart werden soll. Zum Teil geht es dort nur um Hausmachtpolitik, nicht aber um die Einschätzung, wo die Not am größten ist. Der Senat muß sagen, was öffentliche Aufgaben sind und in welchem Umfang sie in der heutigen Not wahrgenommen werden sollen. Derzeit sind die Bezirke alleingelassen.

Das Interview führte Dirk Wildt