DDR-SPD-Fraktionschef: „Lieber schnell durch und ein neuer Anfang“

Der Vorsitzende der SPD-Volkskammerfraktion ist dafür, den Termin vom 2. Juli zu halten / Eine Verschiebung wäre ein neuer Schock für die DDR-Bevölkerung  ■  I N T E R V I E W

taz: Führende Politiker der SPD-West und -Ost streiten öffentlich um Lafontaine und den Staatsvertrag - sprechen Sie nur noch über die Medien miteinander?

Richard Schröder: Es gibt ein einziges Kommunikationsproblem. Oskar Lafontaine braucht Ruhe und war unter den normalen Telefonnummern nicht mehr erreichbar. Zu Lafontaine ging die Kommunikation nicht direkt.

Lafontaine findet die Währungsunion zum 2. Juli eine „eminente Fehlentscheidung“ ...

Man muß dazu sagen, wer den Fehler begangen hat. Wenn man sagt, es war ein Fehler, die Mauer plötzlich und unvorbereitet zu öffenen, es war ein Fehler, danach nicht umgehend die Währungskontrolle wiederherzustellen, Milliarden sind rübergegangen, es war ein Fehler, nicht sofort kooperativ das Währungsproblem in den Griff zu nehmen - ja. Aber der Fehler liegt Monate zurück. Es war kein Fehler dieser Regierung, schnell durch die Währungsunion ein Chaos zu beenden, selbst wenn das mit schmerzlichen Folgen verbunden ist. Die schmerzlichen Folgen einer solchen Umstellung sind in Ungarn und Polen offenbar viel größer, dort wird der Prozeß gestreckt.

Die Stützungsmaßnahmen für einen festen Wechselkurs wären ähnlich kompliziert wie die jetzt nötigen Begleitmaßnahmen bei der Einführung der D-Mark.

Die SPD der DDR sieht keine Alternative zu der Politik, die von Kohl und de Maiziere geplant wird?

Wir haben einen Weg zur deutschen Einheit in unserem Wahlprogramm skizziert, zunächst ohne Datum. Aber damals schon wurde der 2. Juli genannt, so daß wir nun ehrlicherweise sagen müssen, der 2. Juli ist in der SPD geboren, ob das nun klug war oder nicht. Er ist da. In der Politik spielen nicht nur die wirtschaftlichen Tatsachen eine Rolle, sondern auch das, was die Leute erwarten, wünschen und hoffen.

Die SPD-Mitglieder und -Wähler in der DDR wünschen die Währungsunion zum 2. Juli?

Ja. Und in Währungsdingen kann man nicht fackeln, weil die wirtschaftlichen Prozesse und mein persönliches Sicherheitsgefühl für mein Erarbeitetes daran hängen. Da muß, was einmal gesagt wurde, auch eingehalten werden.

Was wäre, wenn der Termin aufgeschoben würde?

Es wäre ein schwerer Einbruch für den Kredit, die Glaubwürdigkeit dieser Regierung. Und ein neuer Schock zu den Schocks, die sowieso der Bevölkerung zugemutet werden müssen. Wir sind der Meinung: Lieber schnell durch und ein neuer Anfang, den der Einzelne und die Wirtschaft einigermaßen planen können. Die Ungewißheit ist das, was am meisten lähmt. Wir können nicht mit der materiellen Grundlage spielen.

Kann die SPD Massenarbeitslosigkeit verantworten?

Ich rechne nicht mit Massenarbeitslosigkeit, ich rechne noch mit dem Neubeginn-Effekt. Aber das sind Prognosen, da bin ich nicht schlauer als Oskar Lafontaine. Das andere Problem ist die Solidarität. Ich denke, in normalen Zeiten können die Parteien laut sagen: „Wir haben schon immer gesagt, so geht es nicht...“ Aber wenn eine Gruppe durch den Urwald läuft, dann sind alle gemeinsam darauf angewiesen, daß sie das durchstehen. Und wenn da einer sagt: Ich habe schon immer gesagt, wir sollen vorher rechts abbiegen, das nützt nichts mehr. Das ist aber unsere Situation. Die beiden deutschen Staaten machen ein gewaltiges historisches Experiment...

Sie haben gesagt, Lafontaine sollte sich von seiner bundesdeutschen Perspektive geistig auf eine gesamtdeutsche Perspektive umstellen...

Ja. Er will hinterher dastehen als der, der sagen kann: „Wir haben schon immer gesagt, daß das verkehrt ist.“ Gesamtdeutsche Perspektive heißt dagegen: Wir müssen da zusammen durch und das Beste daraus machen.

Wenn Lafontaine die Bundestagswahlen gewinnt, steigen seine Chancen, erster gesamtdeutscher Kanzler zu werden. Ihre Partei will sich derzeit mit der West-SPD nicht so schnell vereinen. Ist Lafontaine nicht Ihr Kanzlerkandidat!?

Das sind zwei Fragen. Die formelle Vereinigung der beiden Parteien muß koordiniert werden mit dem politischen Vereinigungsprozeß. Sonst könnte das z.B. dazu führen, daß der Ministerpräsident der DDR einen Parteivorsitzenden hat, der Kanzler der BRD ist...

Aber Lafontaine ist nicht Ihr Mann.

Das kriegen Sie von mir nicht bestätigt. Ich habe an Oskar Lafontaine diesen einen Punkt kritisiert, daß er die Bundestagsfraktion zum „Nein“ zum Staatsvertrag auffordert. Weil ich denke, in den Geschichtsbüchern, im Bewußtsein, im Gedächtnis des Volkes werden die Begründungen nicht mehr anzutreffen sein, sondern nur die nackte Tatsache: Aha, die wollten die Einigung nicht so richtig mittragen. Die Gesichtspunkte, die Sorgen, die er benennt, die teilen wir ja auch.

Sie könnten seine Forderung als taktische Hilfe für Nachbesserungen am Staatsvertrag begreifen.

Ich denke, der optische Schaden in den nächsten Jahrzehnten überwiegt über den taktischen Gewinn. Ein „Nein“ zu einem solchen fundamentalen Vertragswerk bleibt im Gedächtnis. Interview: K.W./B.F