FRÖHLICHE DINOSAURIER

 ■  Rolling Stones revisited: Ein Nachtrag

Ins Frankfurter Waldstadion zum Dinosauriertreffen: den Rolling Stones - dem Medien-Gewäsch von den greisen Rock -Helden und dumpfen Millionen-Abzockern zum Trotz. In den siebten Himmel der Pop-Musik werden nur diejenigen promoviert, die der suizidalen Tempo-Parole „Live fast, die young“ auf den Leim gehen. Wer wie die Rolling Stones einfach älter wird, hat nichts zu lachen - sie sind die „greatest band on earth“ und doch nur die ollen Stones, die seit 25 Jahren dasselbe machen. Keine Kunst hat so intensiv auf den Mythos der ewigen Jugend (der permanenten Ekstase) gesetzt wie die moderne Pop-Musik, und keine Künstler wurden von diesem Mythos so schnell eingeholt wie die jetzt alten Rock'n Roller.

Kritiker kämen niemals auf die Idee, Rembrandt vorzuwerfen, daß er 40 Jahre immer nur Rembrandts gemalt hat - die Stones müssen es sich gefallen lassen. Dabei haben sie schon 1974 klar gemacht, um was es geht: It's only Rock'n Roll, but I like it. Wobei es sich bei „n u r Rock'n Roll“ um eine schwere Untertreibung handelt - von allen „Kulturgütern“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrunderts ist die elektrisch verstärkte Rockmusik das mit Abstand bedeutenste, von Timbuktu bis Nowosibirsk, von Lappland bis Kalkutta geht ohne Rock'n Roll (bis hinunter zur Supermarkt-Muzak) überhaupt nichts mehr. Der Beat ist der erste kleinste gemeinsame Nenner der Weltkultur - Stones und Beatles als Ying und Yang der Popmusik haben ihn installiert. Natürlich hat Helmut Salzinger recht, wenn er die Stones schon 1973 unter den Teppich kehrt - die Welt-Revolution, die er und viele andere von der Rockmusik erwarteten, ist so nicht eingekehrt (außerdem gehören Salzingers „Rock-Power- Wie musikalisch ist die Revolution“ und „Swinging Benjamin“ zu den unbedingt empfehlenswerten Büchern) - aber daß es mit Revolutionen irgendwie nichts ist (und schon gar nicht von oben, von der Bühne), weiß schon der resignative „Street Fighting Man“ von 1968: „Was kann ein armer Junge schon machen, außer in einer Rock'n Roll Band zu singen.“ Mick Jagger tut seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, aber auch nicht weniger - Truman Capote hat einmal über ihn geschrieben, daß er immer mit einem Auge zur Abendkasse schielt, wenn er den „Midnight Rambler“ singt. Das ist völlig in Ordnung - solange er diesen dynamischen Blues so dreckig und dämonisch singt, wie er es eben auch nach 25 Jahren immer noch kann. Und solange sein Glimmer-Zwilling die Gitarre so unnachahmlich dazu schlägt, wie es eben auch, trotz Millionen virtuoserer Gitarristen, eben nur Keith Richards tut.

Wenn in der Rock'n Roll-Religion irgendetwas Gottesfunktion zukommt, dann sind es die Gitarren-Riffs des Chuck Berry Keith Richards ist ihr Prophet. Im Pantheon der Musik wird die verzerrte Gitarre der ersten zwei Takte von „Satisfaction“ dereinst neben dem BaBaBaBamm von Beethovens Fünfter stehen, dicht gefolgt vom Eingangsriff zu „Brown Sugar“ und vielen anderen minimalen Gitarrentönen mit maximaler Wirkung. Das läßt sich alles, und vielleicht sogar genauer, auch auf Platte hören - es live zu erleben aber dürfte diese Woche in Köln, München und Berlin (und in den Sommermonaten in Europa von Oslo bis Lissabon) die letzte Gelegnheit sein. Ich für meinen Teil würde auch noch in 25 Jahren zu einem Stones-Konzert gehen, dann bin ich 60 und sie 70, das Dinosauriertreffen würde sicher noch schöner als anno 1990.

Mathias Bröckers