Utopie im Diskonebel

■ Bulgakows „Adam und Eva“ im Dortmunder Schauspielhaus

Eines Tages im April des Jahres 1930 klingelt in der Wohnung des Schriftstellers Michail Bulgakow das Telefon. Der Anrufer stellt ihm einen Job am Moskauer Theater der Arbeiterjugend in Aussicht - als Regieassistent. Der sich da als Arbeitsvermittler betätigt, ist Stalin höchstpersönlich, und sein Angebot ist nur ein schwaches Trostpflaster für den von der Zensur verfolgten Literaten, der kurz zuvor in einem Brief an die sowjetische Regierung grundlegendere Maßnahmen gefordert hatte: „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß die Unmöglichkeit zu schreiben für mich gleichbedeutend ist mit lebendig begraben zu werden. Ich bitte die Regierung der UdSSR, mir zu befehlen, daß ich in kürzester Frist die UdSSR verlasse.“ Der „Befehl“ blieb aus, Bulgakow produzierte weiterhin seine grotesk-satirischen Romane und Theaterstücke für die Schublade. Ihr Hauptthema: der Staat, der seine Kritik nicht hören wollte.

Nach über fünfzig Jahren des Verbots kam es zur späten Rehabilitierung, und Bulgakows absurde Komödie Adam und Eva wurde 1987 in Moskau aufgeführt. Das Dortmunder Schauspiel brachte jetzt die westdeutsche Erstaufführung heraus. Den hierzulande hauptsächlich als Romancier bekannten Bulgakow (Hundeherz, Der Meister und Margarita) als Bühnenautor zu entdecken, war längst überfällig; aber auch nach der Dortmunder Premiere steht sie noch aus. Hier hat sich ein ehrgeiziger Regisseur mit einem gewagten Konzept gründlich vergriffen und ein unbekanntes Stück so intensiv gegen den Strich gebürstet, daß von der Geschichte nur traurige Ruinen übrigbleiben.

Ein beleibter Herr im roten Trainingsanzug joggt durch einen bunkerähnlichen Raum. Es ist sein Hochzeitstag, und uns wundert, daß er nicht fröhlicher ist. Auch seine frisch angetraute Gattin erweckt den Anschein, als habe sie die Mühen langer Ehejahre bereits hinter sich. Die beiden tragen die beziehungsreichen Namen der ersten Menschen, und ihre Geschichte ist gleichzeitig Schöpfungsgeschichte, Endzeitvision und Utopie des Neuanfangs. Wir befinden uns im Leningrad des Jahres 1932. Adams und Evas Hochzeitsfest wird durch den urplötzlichen Ausbruch eines Krieges empfindlich gestört. Es ist ein Gaskrieg, den die beiden ebensowenig überlebt hätten wie der Rest der Menschheit, wäre in ihre Party nicht kurz zuvor ein seltsamer Gast mit einem komischen „Fotoapparat“ geplatzt. Dieser ebenso tüddelige wie geniale Professor Jefrossimow ist auf der Flucht vor dem Geheimdienst. Er hat eine brisante Erfindung gemacht, eine Maschine, deren Strahlung Giftgas neutralisiert. Adam, Eva und einige zufällige Hochzeitsgäste (ein Fliegeroffizier, ein gefeuerter Gewerkschafter und ein talentloser Literat) werden von ihm „fotografiert“ und sind fortan gegen die rein waffentechnischen Kriegsfolgen immun.

Gegen menschliche Schwäche und Dummheit allerdings ist weder Kraut noch Strahlung gefunden, und so üben sich die Überlebenden in der Reorganisation altbekannter Fehler. Sie gründen Komitees und halten Sitzungen, die neue Welt ist von der dahingegangenen alten bald nicht mehr zu unterscheiden. Als die kleine Kolonie der Überlebenden endgültig zu zerfallen droht, kehrt der Flieger Daragan von einem Aufklärungsflug zurück und verkündet die konkrete Utopie: Auch in anderen Teilen der Welt gibt es Überlebende, die Menschheit kann noch mal von vorne anfangen und es vielleicht doch endlich mal besser machen.

Daß das alles nicht zu einem Friede-Freude-Pazifismus-Brei verkommt, dafür ist in der ironischen und doppelbödigen Textvorlage Bulgakows gesorgt. Leider traut der Regisseur Oswald Lipfert ihr überhaupt nicht über den Weg. Beim Versuch, das sowieso schon Groteske zum Übergag zu gestalten, ist ihm jedes Mittel aus Kostüm-, Requisiten- und Pyrotechnikkiste recht. Das Stück fühlt sich vergewaltigt und kontert mit Absturz in die Klamotte. Panische Angst vor möglichem Bühnenrealismus führt den mutigen Bulgakow -Exegeten zu einem Schlußbild, das er sich besser verkniffen hätte: Aus wallenden Nebelschwaden fährt eine raumschiffartige Diskokugel zum Bühnenhimmel. Ihr entsteigt der Flieger Daragan in der Maske des endgültigen Heino und schmettert im Chor mit allen Überlebenden der Welt sein Rezept für ein bißchen Weltfrieden. „Über sieben Brücken mußt du gehen“, plärrt es aus den Lautsprechern, bis auch der letzte Zuschauer klatschend und stampfend vergessen hat, worum es eigentlich geht.

Wie gesagt, Bulgakow als Bühnenautor ist noch zu entdecken.

Andrea Faschina

Weitere Vorstellung: 13. Juni